Von der Nähmaschinenfabrik zum Automobilhersteller. Ein entscheidendes Kapitel in der langen und erfolgreichen Geschichte der Marke mit dem Blitz darf an dieser Stelle jedoch nicht fehlen: die Fahrradproduktion. Zwischen 1886 und 1937 verlassen in Rüsselsheim mehr als 2,6 Millionen Zweiräder die
Opel-Hallen. Mitte der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts wird
Opel sogar der Welt größter Fahrradproduzent – nicht zuletzt aufgrund der langjährigen Radsport-Erfolge, die mit den Markenrädern eingefahren werden konnten.
Rückblick
Auf einer Geschäftsreise nach Paris lernt Adam Opel 1884 das Hochrad kennen; sein ältester Sohn Carl vertieft sich in England in die Techniken der Fahrradproduktion. Beide erkennen das Potenzial der neuartigen Fortbewegungsmittel für den zukünftigen Verkehr. Und so rollen bereits 1886 zuerst Hochräder, Ende 1887 dann die ersten Niederräder aus dem Rüsselsheimer Werk. Von da an geht es Schlag auf Schlag: 1888 weiht Opel die erste Fabrikhalle ein, die allein der Zweirad-Produktion vorbehalten ist. Im gleichen Jahr gewinnt Joseph Göbel auf einem Opel-Hochrad in Wien die Meisterschaft von Österreich. Doch dies ist nur der Anfang des steilen Aufstiegs der in Rüsselsheim produzierten Markenräder. Schon 1889 erringt August Lehr, der bedeutendste Rennfahrer der damaligen Zeit, auf einem Hochrad in London die "Meisterschaft der Welt".
Zukunftsweisend und prestigeträchtig – der Radrennsport bei Opel
Das Sportengagement macht das Unternehmen bekannt, berühmt wird es durch die Erfolge und Meisterschaften der fünf Opel-Söhne: Carl gewinnt 60 erste Preise, Wilhelm 70, Ludwig über 100 und Heinrich landet 150 Mal auf der obersten Stufe des Siegerpodests. Erfolgreichster Opel-Fahrer ist Fritz mit über 180 ersten Plätzen. Einer seiner größten Triumphe ist der Sieg bei der 620 Kilometer langen Fernfahrt Basel-Cleve 1894. Weit über die Radrennszene hinaus ist der Name "Opel" nun in aller Munde.
Die vielen Radsporterfolge kurbeln den Absatz kräftig an, beweisen sie doch die Stabilität und Verlässlichkeit der in Rüsselsheim hergestellten Räder. Das Ergebnis: Opel schwingt sich zum weltweit größten Zweirad-Produzenten Mitte der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts auf – 1927 vertreiben mehr als 15.000 Händler die beliebten Räder; nach Einführung des Fließbandes auf dem Höhepunkt der Produktion verlässt alle sieben Sekunden ein Rad die Fertigung. Werbeanzeigen mit den Mottos "Opel-Räder sind allen anderen weit voran!" oder "Fahre Opel, dann wirst du Meister!" zeugen schon Jahre zuvor vom Selbstbewusstsein für das eigene Produkt. Dass dies keineswegs übertrieben ist, zeigt einmal mehr der sensationelle Erfolg des belgischen Dauerfahrers Léon Vanderstuyft im Jahr 1928: Er legt auf der Autorennbahn von Montlhéry bei Paris im Windschatten seines motorisierten Schrittmachers Lehmann mit 122,771 Kilometer in der Stunde schier unglaubliche Steherqualitäten an den Tag und bricht damit den bis dato bestehenden Weltrekord.
Doch schon zuvor, genauer: 1925, ergreift das Rüsselsheimer Unternehmen die Initiative, deutsche und ausländische Radrennfahrer starten zu lassen. Wo auch immer die Opel-Mannschaft erscheint, fährt sie an die Spitze. Ein bedeutendes Ereignis, das Opel mit den Rennmaschinen für sich entscheiden kann, ist die im August 1925 in Amsterdam ausgetragene Steher-Weltmeisterschaft. Der Franzose Robert Grassin geht als überlegener Gewinner hervor und erringt den höchsten Titel im Radsport. In ganz Europa eilt er mit seinem ZR III Rennrad von Sieg zu Sieg. Im Mai 1931 wird als erstes Radsportwettrennen seiner Art die von Opel veranstaltete internationale Deutschlandrundfahrt ausgetragen. Start und Ziel der 4.000 Kilometer langen Strecke: Rüsselsheim. Sämtliche Fahrer starten auf Opel ZR III-Rennmaschinen, so dass nur Leistung und Ausdauer über das Ergebnis entscheiden. Die Großveranstaltung gilt als das radsportliche Ereignis des Jahres; Millionen Zuschauer verfolgen die spannenden Wettkämpfe vom Straßenrand aus.
Die 1930er – Blütezeit und Ende einer Ära
Nach Einführung von Ballonreifen und verwindungssteifen Doppelrohr-Rahmen – ebenfalls Anfang der 30er Jahre – folgt 1936 als offizieller Ausstatter des Botendienstes im Olympischen Dorf in Berlin der letzte Höhepunkt in der Fahrrad-Ära von Opel. Ein Jahr später, 1937 – im Jahr des 75-jährigen Firmenjubiläums und rund 51 Jahre nach der Produktion des ersten Opel-Rades – endet dieses Kapitel der Mobilitätsgeschichte der Marke mit dem Blitz, das dazu beigetragen hat, den Namen "Opel" in aller Welt bekannt und geachtet zu machen. Fortan konzentriert sich Europas größter Hersteller auf das Automobilgeschäft. Als letztes Fahrrad rollt am 15. Februar ein Rad der "Blau-Chrom-Klasse" mit der Seriennummer 2.621.964 vom Band. Fein säuberlich wird dem letzten Opel-Rad ein Erinnerungsschild ins Rahmendreieck geschraubt, bevor es die historische Zweiradsammlung vervollständigt. Die NSU-Werke Neckarsulm, die sich seit Jahren auf den Bau von Fahr- und Motorrädern spezialisiert haben, übernehmen die Rüsselsheimer Fahrradproduktion. Um von dem guten Ruf der Opel-Räder zu profitieren, werden sie für eine Übergangszeit unter dem Namen "NSU-Opel" verkauft. Bis heute bleibt das Fahrrad das erste und nach wie vor preiswerteste Individualverkehrsmittel weltweit – an dessen Verbreitung Adam Opel und seine Nachfolger maßgeblichen Anteil haben.