Das deutsche Verkehrsrecht dürfte auch im nächsten Jahr Autofahrer, Ordnungshüter und Justiz mit ein paar Überraschungen gehörig in Atem halten. Zu diesem Schluss kommt der ACE Auto Club Europa in einem veröffentlichten Bericht über die bevorstehenden wichtigsten Änderungen.
Demnach sollen exakt 30 Jahre nach Einführung der generellen Anschnallpflicht von 2006 an bestimmte Ausnahmen entweder neu eingeführt oder wieder aufgehoben werden. Davon betroffen ist aber nur ein relativ kleiner exklusiver Kreis von Verkehrsteilnehmern. Zu ihnen gehören beispielsweise die bundesweit mehr als 7.000 häufig als Glücksbringer apostrophierten Schornsteinfeger. Sie werden bei ihrem Haus-zu-Haus-Verkehr nämlich von der Pflicht zum Angurten hinterm Steuer befreit. Welche Sicherheitsvorschriften Schornsteinfeger etwa zur Verhütung eines Sturzes vom Dach zu beachten haben, entzieht sich der Straßenverkehrsordnung (StVO), merkte der ACE an.
Ansonsten herrscht spätestens vom 09. Mai 2006 an die Strenge der "EG-Gurtänderungsrichtlinie". Sie sieht vor, dass in Oldtimern ohne Gurtvorrichtung Kinder unter drei Jahren überhaupt nicht mehr und Kinder über drei Jahren nur noch auf der Rückbank befördert werden dürfen. Welche Änderungen sonst noch wann genau in Kraft treten, will der Bundesrat heute in Berlin beschließen.
Wer rast und rutscht muss zahlen
Drängler erfahren künftig nicht nur die Missbilligung anderer Verkehrsteilnehmer, ihnen drohen auch härtere Strafen von Gesetzes wegen. Maßgebend für die Höhe der Strafe sind das jeweilige Tempo und der nach dem halben Tachowert berechnete Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug.
- Wer beispielsweise bei einer Geschwindigkeit von 140 Kilometer pro Stunde (km/h) den gesetzlich geForderten Mindestabstand unterschreitet und dabei mit weniger als sieben Metern (= weniger als 1/10 des halben Tachowertes) auffährt, muss mit der Höchststrafe rechnen – 250 Euro und drei Monate Fahrverbot nebst vier Punkten. Bislang betrug die Strafe dafür neben den vier Punkten lediglich 150 Euro und ein Monat Fahrverbot.
- Bestraft wird aber bereits bei einem Tempo von mehr als 80 km/h, wenn der Abstand weniger als 5/10 des halben Tachowertes beträgt, das sind in diesem Fall weniger als 20 Meter. Das kostet immerhin bereits 40 Euro Strafe und einen Punkt.
Der ACE hält die Verschärfung angesichts der noch weit verbreiteten Missachtung der gesetzlichen Abstandsvorschriften - Faustformel: wenigstens halber Tachowert in Metern – für begründet. Wird die Schwelle von mindestens 0,8 Sekunden Zeitabstand zu einem Vorausfahrenden in einer Gefahrensituation unterschritten, kommt es nach Einschätzung von Verkehrssicherheitsexperten unweigerlich zu einem meist folgenschweren Unfall. Ein Auslöser für die geplante Strafverschärfung sieht der ACE denn auch in dem vom so genannten "Turbo-Rolf" verursachten Unfall auf der A 5 in der Nähe von Karlsruhe, bei dem im Juli 2003 eine 21 Jahre alte Mutter und ihre zweijährige Tochter ums Leben kamen.
Die StVO bestimmt, dass der Abstand in der Regel so groß sein muss, dass hinter dem Vorausfahrenden auch dann gehalten werden kann, wenn dieser plötzlich bremst. Fahren Lkw (über 3,5 Tonnen) und Busse schneller als 50 km/h, beträgt für sie der vorgeschriebene Mindestabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug von je her und auch künftig 50 Meter.
Vorschrift für Frostschutz
Als Ordnungswidrigkeit künftig höher bestraft wird, wenn die Ausrüstung eines Kraftfahrzeugs nicht den Wetterverhältnissen angepasst ist. In der novellierten StVO sind die fraglichen Tatbestände neuerdings extra hervorgehoben. Mit Blick auf winterliche Witterungsverhältnisse ist hier jetzt die Rede von "geeigneter Bereifung und Frostschutzmittel in der Scheibenwaschanlage".
- Wer sich diesbezüglich Versäumnisse zu Schulden kommen lässt, muss 20 Euro Strafe zahlen.
- 40 Euro sind zu zahlen, wenn etwa wegen falscher Bereifung auf rutschiger Fahrbahn zusätzlich Verkehrsbehinderungen ausgelöst werden.
- Gefahrguttransporte müssen bei Schneeglätte und Glatteis jede Gefährdung anderer ausschließen "und wenn nötig den nächsten geeigneten Platz zum Parken aufsuchen", heißt es im Entwurf der geänderten StVO.
Der ACE hält die vorgesehene Regelung in ihrer Zielsetzung zwar für richtig, vermisst aber Präzisierungen, ohne die Auslegungsprobleme entstehen könnten. So ist auf die Nennung technischer Standards für "geeignete Bereifung" ebenso verzichtet worden wie auf eine eindeutige Beschreibung der "Wetterverhältnisse" und eine konkrete Bestimmung des Konzentratwertes von Frostschutz in der Scheibenwaschanlage. Angesichts der deutschen Neigung, selbst derartige Fragen im Konflikt vor Gericht zu klären, müssen Richter und Anwälte nicht fürchten, ohne Beschäftigung zu bleiben, vermutet der ACE. Faktisch bleibt dem Autofahrer zunächst nur eine rutschige Gratwanderung auf der auslegungsfähigen StVO und die Frage, ob er überhaupt und wenn ja, wann, seine Sommerreifen durch Winterreifen ersetzt.
Hin und Herrollen verboten
Im Unterschied dazu völlig klar geregelt ist, dass zum Zwecke der Sicherheit künftig unter anderem Ladungen so verstaut werden müssen, "dass sie selbst bei Vollbremsung oder plötzlicher Ausweichbewegung nicht verrutschen, umfallen, hin- und herrollen, herabfallen oder vermeidbaren Lärm erzeugen können". Hier lässt das Gesetz wirklich keinerlei Spielraum für Gegenstände, die sich in die eine oder andere Richtung in Bewegung setzen könnten.
Für Fahrer und Beifahrer so genannter Trikes und Quads wird in der StVO zwar eine Helmpflicht eingeführt, die allerdings dann nicht gilt, wenn vorgeschriebene Sicherheitsgurte angelegt sind. Ob aber bei angelegtem Gurt die Gefahr von Kopfverletzungen in den oben offenen Maschinen tatsächlich geringer ist, erscheint dem ACE zumindest fraglich. Laut Club strenger geahndet werden soll die Missachtung des etwa durch Blinklichter angezeigten Wartegebots an Bahnübergängen.
Steuern rauf und runter
Vom 01. Januar 2006 an wird die Kfz-Steuer für Reisemobile auf Grundlage von Hubraum und Schadstoffausstoß neu geregelt. Bei einer puren Übertragung der für Pkw geltenden Vorschriften käme es dabei zu teils extremen Steuererhöhungen für Wohnmobilbesitzer. Deren Fahrzeuge sind bislang relativ günstig nach Gewicht besteuert worden. Um Härten zu vermeiden, sind nun Abschläge auf die Steuer vorgesehen.
- Die Abschläge betragen bei Reisemobilen zwischen 2,8 und 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht 40 Prozent,
- bei Fahrzeugen über 3,5 Tonnen 50 Prozent.
- Bis 2011 soll die Vergünstigung in zwei Stufen auf 20 Prozent reduziert werden.
Der ACE sieht in dieser Übergangsregelung zwar eine Milderung der Belastungen, schließt aber nicht aus, dass noch einmal nachgebessert werden muss. Das betrifft beispielsweise die Anpassungsstufen, die nach Ansicht des ACE möglicherweise noch weiter gestreckt werden müssten. Als ein Grund führt er an, dass die durchschnittliche Haltedauer bei Wohnmobilen einerseits deutlich länger ist als bei Pkw, andererseits aber die jährliche Fahrleistung viel geringer ausfällt. Kritik übte der Club an den Umständen der Besteuerung von Wohnmobilen. Herstellern sei keine Zeit geblieben, die Motorentechnik ihrer Flotte rechtzeitig auf die schadstofforientierte Besteuerung umzustellen.
Auf finanzielle Förderung dürfen im kommenden Jahr Dieselfahrer hoffen, die sich für die Nachrüstung eines Partikelfilters entscheiden. Von Seiten der Politik war zuletzt die Rede von einem Förder-Betrag in Höhe von 250 Euro.
- Die ursprüngliche Absicht, auch den Neukauf von Dieselautos mit Partikelfilter finanziell zu unterstützen, ist von der Bundesregierung unter dem Druck knapper Finanzen wieder fallen gelassen worden.
- Auch die Förderung schadstoffarmer Fahrzeuge und so genannter 3-Liter-Autos endet mit dem 31.12.2005 und zwar selbst dann, wenn der gesamte steuerliche Förderbetrag bis dahin noch nicht voll ausgeschöpft worden ist.
Mehr Prüfungen für dies und das
Von 2006 an müssen auch Motorräder und Mopeds eine Abgasuntersuchung durchlaufen, ähnlich wie dies bei Autos schon lange üblich ist.
- Betroffen davon sind Bikes mit einer Erstzulassung ab 1989.
- Der Anteil von Kohlenmonoxid im Abgas muss bei Modellen mit Regelkat auf 0,5 Prozent und bei Modellen ohne Kat auf 4,5 Prozent begrenzt sein.
- Neufahrzeuge müssen von 2007 an die Norm Euro 3 erfüllen.
- Bei der Hauptuntersuchung (HU) werden von den amtlichen Prüforganisationen künftig auch die elektronischen Systeme wie ESP oder Airbags von Autos in Augenschein genommen. Eine differenzierte Funktionsprüfung, wie sie beispielsweise auf dem Bremsprüfstand üblich ist, wird damit aber nicht verbunden sein, auch keine Probefahrten, die einem Praxistests der fraglichen Systeme dienen könnte.
Deshalb teilt der ACE Zweifel von Experten, die die bloße Prüfung etwa von ABS-Kontrollleuchten allein für nicht besonders zweckdienlich halten.
Einen Fortschritt sieht der ACE dagegen in der Zusammenlegung der Abgas- und Hauptuntersuchung. Sie ist aber derzeit nur möglich bei Neufahrzeugen, die über eine on- Board- Diagnose (OBD) verfügen. Dem alljährlich wiederkehrenden Versuch der Prüforganisationen, sich vom zuständigen MINIster eine Gebührenerhöhung genehmigen zu lassen, baut der ACE jetzt schon vor. Der Club sieht für eine Anhebung der TÜV-Gebührensätze derzeit jedenfalls keinen triftigen Grund.
Die Einführung einer Neuigkeit am Rande der Straße wird hingegen vermutlich keine weiteren Diskussionen auslösen: Pannenhelfer dürfen künftig bei "Gefahr im Verzug zur Eigensicherung" und zur Absicherung des übrigen Verkehrs so genannte Leitkegel (Pylonen) aufstellen. Das dient der Unfallverhütung, heißt es allenthalben.