Die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH) hat das gestrige Feinstaub-Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart als "in seinem Tenor und seiner Begründung wegweisend" bezeichnet. Der Richterspruch bestätige voll und ganz die Strategie der DUH, den Gesundheitsschutz von Bürgern in Hochbelastungszonen auf dem Rechtsweg einzuklagen, erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch und beglückwünschte die beiden Stuttgarter Kläger zu ihrem Erfolg. Mit ihrem Engagement hätten sie nicht nur sich selbst, sondern hunderttausenden betroffener Bürger in fast allen deutschen Ballungszentren einen großen Dienst erwiesen. Resch: "Dieses Urteil wird dem Kampf gegen die Feinstaub-Misere bundesweit neuen Schwung geben. Jetzt müssen die Verantwortlichen in betroffenen Ländern und Kommunen flächendeckend Aktionspläne aufstellen und unverzüglich konkrete Gegenmaßnahmen einleiten". In mindestens 70 Städten mit regelmäßigen Grenzwertüberschreitungen seien Fahrverbote für ungefilterte Diesel-Pkw und Lkw zu verhängen.
Mit ihrem Spruch gaben die Richter zwei Stuttgarter Bürgern Recht, die das Land Baden-Württemberg wegen der ständigen Überschreitungen des seit Jahresbeginn geltenden Feinstaubgrenzwertes auf Aufstellung eines immissionsschutzrechtlichen Aktionsplans verklagt hatten. Das Gericht entschied gestern, dass in dem Aktionsplan nun konkret festgelegt werden muss, welche Maßnahmen kurzfristig zum Schutz der Gesundheit der betroffenen Bürger zu ergreifen sind. Sobald die Toleranzmarge von maximal 35 Überschreitungen pro Kalenderjahr erreicht sei, "ist jede Überschreitung verboten", heißt es unmissverständlich in dem Urteil. Alle in Hochbelastungszonen betroffenen Menschen seien durch die Grenzwertregelung geschützt: Denn ein "Schutz der menschlichen Gesundheit im Allgemeinen ohne effektiven, einklagbaren Schutz der Gesundheit Einzelner im Besonderen wäre ein Widerspruch in sich".
Für die Stuttgarter CDU/FDP-Landesregierung bedeutet das Urteil nach Überzeugung Reschs "eine schallende Ohrfeige, die sie sich durch fortgesetztes Nichtstun verdient hat". Denn die Verantwortlichen hatten stets argumentiert, sie seien frühestens seit der Bekanntgabe der Grenzwertüberschreitungen im August 2004 oder seit In-Kraft-Treten der aktuellen Grenzwertregelung im Januar 2005 zur Erstellung eines Aktionsplans verpflichtet gewesen. Das VG Stuttgart sieht das ganz anders: Spätestens nach der Umsetzung der EU-Regelung in deutsches Recht im September 2002 hätte das Land aktiv werden müssen, wenn nicht schon im Juli 2001, als die Verpflichtung zur nationalen Umsetzung verfügt wurde. Resch: "Ab jetzt wissen alle Verantwortlichen in Ländern und Kommunen, was die Stunde geschlagen hat: Wegducken hilft nicht mehr."
Das gelte insbesondere für jene Autohersteller, "die nach dem Abflauen der heißen Diskussionen der letzten Monate wegen der unsicheren politischen Lage auf eine neue Gnadenfrist bei der Einführung des Partikelfilters spekuliert haben." So verweigere sich Volkswagen nach Information der DUH trotz gegenteiliger Propaganda weiterhin dem Partikelfilter. Populäre Modelle wie Golf oder Touran sollen weder in der Serienausstattung noch in der Nachrüstung einen Filter bekommen, mit dem der EU-Grenzwert von 5,0 mg/km erreicht werden kann. Die von VW groß angekündigte Nachrüstinitiative bewertet die DUH als "Betrug am Kunden", da der Wolfsburger Konzern für die Nachrüstung nur ungeregelte Systeme zum Einsatz bringen will, deren Ausstoß an Feinstpartikel um nur 30% anstelle der mit Vollfiltern möglichen 99,9% gemindert wäre. Die DUH warnt vor dem Erwerb solcher Fahrzeuge, da diese folgerichtig keine grüne sondern nur eine gelbe Plakette erhalten und somit von Fahrbeschränkungen betroffen sein werden.
Die Politik rief Resch auf, noch vor den Bundestagswahlen einen politischen Konsens über die steuerliche Förderung des Rußfilters für Neu- und Altfahrzeuge mit aufkommensneutraler Finanzierung herzustellen. Dazu biete sich beispielsweise eine "gemeinsame politische Verpflichtungserklärung" aller im Bundestag vertretenen Parteien an.
Die Deutsche Umwelthilfe hatte die aktuelle Feinstaub-Diskussion am 31. Januar 2005 mit der Ankündigung ausgelöst, in Hochbelastungszonen lebende Bürger mit Musterklagen in insgesamt fünf Städten (Düsseldorf, Dortmund, Berlin, München und Stuttgart) zu unterstützen, wenn diese ihr Recht auf saubere Luft einklagen. In dieser Strategie sieht sich die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation nun auch gerichtlich bestätigt. Düsseldorf und Dortmund hatten alleine aufgrund der Klageandrohung verkehrslenkende Maßnahmen ergriffen. Die Verwaltungsgerichte in Berlin und München bestätigten zwar grundsätzlich das "Recht auf saubere Luft", verneinten aber die Klageberechtigung betroffener Bürger. Gegen diese Entscheidungen, die den Klägern jeweils das individuelle Recht auf Einhaltung der Grenzwerte abgesprochen hatten, legte die DUH inzwischen Beschwerde ein. Das gestrige Stuttgarter Urteil ist der erste Richterspruch in einem Hauptsacheverfahren.