Autolenker erhalten Hilfe am Steuer: In den letzten Jahren wurde die Entwicklung von Assistenzsystemen vorangetrieben, die den Lenker in Gefahrensituationen aktiv unterstützen. Teilweise kann es jedoch noch Jahrzehnte dauern, bis sich diese elektronischen Helfer auf dem Markt durchsetzen. Durch den stärkeren Einsatz solcher Fahrassistenten könnten die Unfallzahlen deutlich reduziert werden, wie die aktuellen Crashtests der Winterthur und der DEKRA demonstrieren.
Die modernen Fahrassistenten wie das Anti-Blockier-System (ABS), das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP), der Bremsassistent oder die automatische Abstandsregelung gehören zu den aktiven Sicherheitssystemen, die nicht erst beim Eintreten eines Unfalls, sondern bereits in kritischen Situationen während der Fahrt wirksam werden. ABS und ESP werden grösstenteils serienmässig eingesetzt, während der Bremsassistent und die automatische Abstandsregelung erst bei Fahrzeugen des höheren Preissegments als Sonderausstattung erhältlich sind.
Sicher durch die Kurve
Jährlich sterben in Europa rund 42.000 Personen bei Verkehrsunfällen, 1,9 Millionen werden verletzt. Gemäss einer Untersuchung des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) werden ein Viertel der Unfälle mit Schwerverletzten und rund 60 Prozent aller Unfälle mit Todesfolge durch Schleudern des Fahrzeugs verursacht. In der Schweiz ist die Situation ähnlich: Laut der schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) aus dem Jahr 2005 führen Schleuder- und Selbstunfälle am häufigsten zu schweren und tödlichen Verletzungen von Pkw-Insassen.
Eine falsch eingeschätzte Kurve, ein plötzlich auftretendes Hindernis oder eine stellenweise vereiste Strasse – fast jeder Autofahrer ist schon einmal mit einer kritischen Fahrsituation konfrontiert worden. Bei solchen Bedingungen kann das Fahrzeug schnell ausser Kontrolle geraten. "ESP greift in Gefahrensituationen ein und hilft, das Fahrzeug zu stabilisieren. Dessen flächendeckender Einsatz würde den Anteil folgenschwerer Unfälle um 30 bis 40 Prozent reduzieren" sagt Anton Brunner, Leiter Unfallforschung der Winterthur Group. In der gebirgigen Schweiz dürfte das Sicherheitspotenzial sogar noch höher sein, so das Bundesamt für Strassen (ASTRA). "Heute ist ESP in der Schweiz und in Deutschland bei rund 60 Prozent aller Neuwagen Standard. Aufgrund seines hohen Sicherheitspotenzials sollte die Durchdringung von ESP jedoch baldmöglichst hundert Prozent betragen", Fordert Anton Brunner.
Eine halbe Sekunde rettet Leben
In Notfällen bremsen die Autolenker oft nicht schnell genug oder zu zaghaft, was die Bremswirkung stark reduziert und den Bremsweg deutlich verlängert. Tatsächlich entscheiden nur Bruchteile von Sekunden darüber, ob es zum Unfall kommt oder nicht: Rund 65 Prozent der Auffahrunfälle und fast ein Drittel der Frontalkollisionen könnten vermieden werden, wenn der Fahrer auch nur eine halbe Sekunde früher bremsen würde. "Bremst der Autolenker bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h nur eine halbe Sekunde früher, verkürzt sich der Bremsweg bereits um rund 8 Meter, wie Crashtests der Winterthur und der DEKRA demonstrieren. Der Einsatz des Bremsassistenten würde dem Fahrer helfen, im Notfall schneller zu bremsen", erklärt Jörg Ahlgrimm, Head Accident Analysis der DEKRA.
Der Bremsassistent, der seit rund sechs Jahren auf dem Markt ist, hilft dem Fahrer in Notfällen schneller die volle Bremswirkung zu erzielen. Ein Sensor misst bei jeder Bremsung, wie schnell der Fahrer auf das Bremspedal tritt. Stehen die Zeichen auf Vollbremsung, wird der Bremsdruck innerhalb von Sekundenbruchteilen auf das Maximum erhöht. So wird auch bei schwacher Betätigung der Bremsen die maximale Bremswirkung erreicht.
Mit Radarsensoren gegen die Kollisionsgefahr
Neue, mit Sensoren ausgestattete Fahrassistenzsysteme helfen, die Fahrerreaktion vorzuverlegen. Mittels Radarsensoren erfassen sie vorausfahrende Fahrzeuge, ermitteln deren Geschwindigkeit und greifen ein, wenn sich der Abstand zum Vordermann zu sehr verringert. "Sie erkennen sich verändernde Abstände eher als der Fahrer, dies auch bei stark eingeschränkter Sicht, zum Beispiel bei Regen oder Nebel. Durch den Einsatz dieser Systeme könnte die Anzahl Auffahrunfälle massiv herabgesetzt werden", ist Anton Brunner überzeugt. Wie die Crashtests zeigen, ist der Sicherheitsgewinn bei Auffahrunfällen mit Nutzfahrzeugen besonders hoch. Je grösser die Masse des unfallverursachenden Fahrzeugs, desto kleiner die Überlebenschancen für die anderen Verkehrsteilnehmer. Bisher sind jedoch nur sehr wenige Nutzfahrzeuge mit Fahrassistenten ausgerüstet.
Die mit Sensoren ausgerüsteten Sicherheitssysteme wurden auf Basis der automatischen Abstandsregelung entwickelt, die im Jahr 2000 auf den Markt kam. Die weiterentwickelten Systeme gibt es in verschiedenen Ausbaustufen: Die erste bereitet die Bremsanlage auf eine Notbremsung vor, wenn der Radar eine Gefahrensituation erkannt hat. Der Fahrer gewinnt so wichtige Sekundenbruchteile beim Bremsen. Eine zweite Ausbaustufe warnt den Fahrer darüber hinaus vor einer sich abzeichnenden kritischen Situation. Bei beiden Systemen muss der Fahrer jedoch selber aktiv werden, um die Kollision zu vermeiden. Anders bei der dritten Ausbaustufe, der automatischen Notbremsung: Dank der Radarsensoren erkennt das System frühzeitig, wenn eine unvermeidbare Kollision mit einem vorausfahrenden Fahrzeug droht und löst selbstständig die Notbremsung aus, wenn der Fahrer nicht oder nur unzureichend auf die vorausgegangenen Warnungen reagiert.
Sinnvoll trotz unerwünschter Nebeneffekte
Könnte der Einsatz von Fahrassistenten - nebst dem erwarteten Sicherheitsgewinn - auch zu einer riskanteren Fahrweise mancher Lenker führen? "Dieses Risiko steht in keinem Verhältnis zu den Vorteilen, die solche Systeme der grossen Mehrheit der Fahrzeuglenker bietet", steht für Jörg Ahlgrimm bereits heute fest. Damit das Sicherheitspotenzial der Fahrassistenten zum Tragen kommt, müssen die Fahrer einen verantwortungsvollen Umgang mit den Systemen an den Tag legen. "Denn Fahrassistenten sind nur innerhalb bestimmter Grenzen wirksam: Physikalische Gesetze können nicht ausser Kraft gesetzt werden", warnt Jörg Ahlgrimm.