Durchstarten zum Höhenflug: Nur eine Woche nach dem Großen Preis von Italien in Monza setzt der Grand Prix-Zirkus im belgischen Spa seine "Klassiker-Festspiele" fort. Der "Circuit de Spa-Francorchamps" gilt als letzte Naturrennstrecke und bietet einzigartige fahrerische Heraus
Forderungen - und genau dies ist der Grund, warum das Fahrerfeld die "Ardennen-Achterbahn" fast durchgehend als Lieblingskurs bezeichnet. Für Reifenhersteller Michelin stellt Spa eine bekannte Größe dar - nur das unberechenbare Wetter in dem belgischen Mittelgebirge könnte für Überraschungen auf dem Reifensektor sorgen.
Keine Atempause: Nur wenige Stunden nach dem Rennen in Monza brachen die "Truckies" der Formel 1-Teams und der technischen Partner wie Michelin von Norditalien nach Belgien auf. Die Ortsnamen, die sie auf den letzten Kilometern vor der Einfahrt ins Fahrerlager passieren, dürften selbst bei den altgedienten Profis wieder für Herzklopfen gesorgt haben - Stavelot, Blanchimont, Les Combes, Pouhon oder Malmedy und natürlich das Flüsschen Eau Rouge - sie alle leihen den Streckenteilen der vielleicht aufregendsten Formel 1-Rennstrecke ihre Namen.
Mit einer Länge von 6,973 Kilometern ist Spa-Francorchamps der längste Kurs im Rennkalender und gilt zudem als ausgesprochene Fahrerpiste. Die Passage durch die Senke von "Eau Rouge" und dann steil bergauf Richtung "Kemmel" gehört zu den absoluten Klassikern der Formel 1 - auch wenn sie mit den heutigen Abtriebswerten in der Regel problemlos "voll" geht. "Die Kompression dort ist körperlich überhaupt kein Problem, aber eben etwas ganz Spezielles", betont BMW Williams F1-Pilot Nick Heidfeld, für den das Rennen unweit der deutsch-belgischen Grenze auch eine Art Heim-Grand Prix darstellt.
Bei passender Fahrzeug-Abstimmung wird auch die Linkskurve "Blanchimont" ohne Lupfen des Gaspedals in das Vollgas-Stück bis zur Bus-Stop-Schikane einbezogen. Besonderheit beider Stellen: In "EauRouge" werden die Piloten mit bis zu 4g in den Sitz gepresst, in "Blanchimont" zerren ähnlich hohe Fliehkräfte an den Nackenmuskeln.
Was die Fahrer in Spa besonders reizt: "Während einer Runde müssen wir mit jeder Art von Kurve zurechtkommen, und man kann an vielen Stellen Zeit gutmachen", erklärt Toyota-Fahrer Jarno Trulli. "Als Fahrer musst du vollkommen konzentriert sein und gleichzeitig den Rhythmus der Strecke annehmen. Man muss die gesamte Runde am Limit sein, und das ist in Spa schwerer zu finden als auf anderen Kursen. Diese Piste zeigt das wahre Potenzial eines Fahrers auf."
Der Große Preis von Belgien aus der Sicht von Michelin
"Der Grand Prix in Spa-Francorchamps zählt für Zuschauer wie Fahrer alljährlich zu den Saisonhöhepunkten. Aber so einzigartig und spektakulär die Strecke ist - der Reifenverschleiß liegt dort nicht überdurchschnittlich hoch", erklärt Pierre Dupasquier, der Motorsport-Direktor von Michelin. "Die Belastung von Vorder- und Hinterreifen ist in etwa ausgewogen."
Wie üblich verbessert sich der Grip mit der zunehmenden Gummiauflage auf dem Asphalt im Lauf des Wochenendes. In Spa-Francorchamps fällt dieser Effekt wegen der längeren Rundendistanz - und damit weniger Umläufen pro Fahrer - jedoch etwas geringer aus als auf anderen Kursen. "Überhaupt bleiben die Bedingungen in Belgien eher stabil", weiß Dupasquier. Es sei denn, es stellt sich einer der in den Ardennen nicht unüblichen Regengüsse ein… "Ich hoffe mal wieder auf ein Regenrennen, auch wenn Spa nicht der beste Ort dafür ist", sagt Michelin-Pilot Nick Heidfeld. "Wie früher in Hockenheim wird wegen der hohen Geschwindigkeiten viel Wasser hochgewirbelt. Und in den Wäldern bleibt die Gischt zwischen den Bäumen hängen, weil der Wind sie nicht wegblasen kann."
Das erwarten die Partnerteams von Michelin
Trotz der überlegenen WM-Führung für Fernando Alonso hat das Renault F1-Team den Champagner noch nicht kaltgestellt: "27 Punkte Vorsprung bei vier noch ausstehenden Rennen sind durchaus noch kein Ruhekissen. Was passiert, wenn ich bei den kommenden beiden Grands Prix ausfalle?", warnt der Spanier vor Selbstzufriedenheit. Sein Trumpf im Schlussspurt: "Obwohl die Saison schon ziemlich lange andauert, sind alle im Team noch immer voll motiviert."
Die Verfolger McLaren-Mercedes und Kimi Räikkönen sehen die WM ebenfalls noch nicht als entschieden an. "So lange rechnerisch eine Chance besteht, werden wir nicht nachlassen - und wenn das nicht mehr der Fall ist, trotzdem nicht", so Teamchef Ron Dennis. "Denn wir sind hier, um Rennen zu gewinnen." Was die Silbernen zusätzlich anspornt: Im Gegensatz zum Fahrertitel liegt die Spitze in der Konstrukteurswertung für sie auch in Spa in Reichweite.
Ein besonderes Ziel haben auch die Mannen von Toyota im Visier: Die Rot-Weißen liegen in der Herstellerwertung bloß acht Zähler hinter Ferrari. Diese Chance will sich Teamchef Tsutomu Tomita nicht entgehen lassen: "Wir schließen zu ihnen auf und werden versuchen, sie einzuholen und es unter die besten Drei zu schaffen. Wir arbeiten auch auf der technischen Seite hart, um näher an das Tempo der besten zwei Teams heranzukommen", lautet die Ansage von Tomita-san.
BMW WiliamsF1 reist gestärkt von Italien nach Belgien, da die britisch-bayerische Partnerschaft in Monza klar stärker auftrat als in den Rennen zuvor. "Wir werden wiederum neue Aerodynamikteile für das Heck des FW27 nach Spa bringen, und Michelin stellt uns zwei neue Reifenmischungen zur Verfügung", hofft Technikdirektor Sam Michael auf einen weiteren Aufwärtstrend.
Als Spezialist für den spektakulären Kurs gilt auch BAR-Honda-Pilot Jenson Button, der dort in seiner ersten Formel 1-Saison 2000 sensationell in die zweite Startreihe fuhr. Bereits in Belgien will die ehrgeizige Truppe aus Brackley einen weiteren Platz in der Konstrukteurs-WM gutmachen.
Die nicht werksunterstützten Michelin-Partner Red Bull Racing und Sauber-Petronas spüren wie üblich zu Saisonschluss das gnadenlose Entwicklungstempo der Hersteller-Teams. In Monza brachten beide Rennställe keinen Piloten in die Punkteränge. Auf der Fahrerstrecke in Belgien könnte sich das Blatt durch die starke Cockpit-Besetzung jedoch wenden: Der unerschrockene Sauber-Pilot Felipe Massa liebt die "Ardennen-Achterbahn", und mit David Coulthard steht der Spa-Sieger von 1999 in Diensten von Red Bull.
So lief der Große Preis von Belgien 2004
Kimi Räikkönen erkämpfte 2004 für Michelin in Belgien den zweiten Saisonsieg. Mit Pole Position und schnellster Rennrunde sicherte sich der französische Reifenhersteller auch die anderen Ehrentitel auf der fahrerisch anspruchsvollen "Ardennen-Achterbahn" von Spa-Francorchamps. Während Renault-Pilot Jarno Trulli für die Marke aus Clermont-Ferrand im Qualifying die Bestzeit erzielte, stürmte während des überaus turbulenten Rennens der Finne Kimi Räikkönen mit seinem McLaren-Mercedes vom zehnten Startrang aus an die Spitze und hielt dabei Michael Schumacher locker in Schach. Dem Deutschen genügte ein zweiter Rang, um in Belgien bereits vorzeitig seinen siebten Fahrertitel feiern zu dürfen.
Kommentar
Ralf Schumacher (Toyota): "Entscheiden uns wahrscheinlich für eine Medium-Mischung"
"Spa hat als eine der letzten Naturrennstrecken einen besonderen Charakter. Sie ist so eine Art Achterbahn zum Selberfahren. Nirgendwo ist eine Runde länger als dort, es gibt viele schnelle Passagen, aber auch enge Kurven und die Kompression in der berühmten Eau-Rouge-Kurve. Die AnForderungen für die Reifen lassen sich mit denen in Imola, am Nürburgring oder Silverstone vergleichen. Wir werden daher wahrscheinlich eine Medium-Mischung wählen."
Statistisches
- Großer Großer Preis von Belgien, Circuit de Spa-Francorchamps, 16. Lauf zur FIA-Formel 1-Weltmeisterschaft 2005 (11. September 2005);
- Renndistanz: 44 Runden à 6,976 km = 306,944 km.