Irgendwann reißt auch die schönste Erfolgsserie: Nach sechs Laufsiegen in Folge musste sich Michelin- und Citroën-Pilot Sébastien Loeb erstmals wieder einem Gegner geschlagen geben. Im Hinblick auf seine Titelverteidigung verzichtete der amtierende Weltmeister bei dem Schotter- und Weitflug-Festival vor den Toren der finnischen Provinzmetropole Jyväskylä auf den finalen Angriff auf den Lokalmatadoren Marcus Grönholm und gab sich nach einem überaus spannenden Sekundenduell mit dem zweiten Rang zufrieden. Dennoch konnte der Franzose seinen Vorsprung in der Fahrerwertung um einen weiteren Zähler ausbauen und liegt nach dem zehnten von 16 Saisonläufen nun mit 28 WM-Punkten souverän in Führung. In der Konstrukteurs-Tabelle kämpfte sich
Peugeot knapp an Konzernschwester Citroën vorbei und übernahm Rang eins.
Wenn es eine Rallyeinnerhalb des aufregenden WM-Kalenders gibt, die das Attribut "spektakulär" wirklich verdient, so ist dies ohne Zweifel der auch "1000 Seen" genannte Saisonlauf in Finnland. Die superschnellen Schotterpisten in den dichten Wäldern sind ein Fall für echte Spezialisten. Über 40 Prozent der Distanz, hat Michelin-Partner Citroën ausgerechnet, bewegen sich die Toppiloten mit Geschwindigkeiten jenseits der 150 km/h durchs Gehölz. Nicht selten liegt auf den gewundenen Pfaden Tempo 200 und mehr an. Den Gängen eins bis vier kommt nach dem Start nur noch eine entsprechend untergeordnete Bedeutung zu. Der wahre Schwierigkeitsgrad dieses Klassikers liegt jedoch in der topographischen Besonderheit der Region rund um Start- und Zielort Jyväskylä begründet: Alle Wertungsprüfungen führen über unzählige Sprungkuppen und Hügel. Diese postieren sich - wohl der verspielten Laune motorsportbegeisterter Straßenbau-Ingenieure gehorchend - in variantenreicher Hinterhältigkeit vor, in, hinter und zwischen rasant schnellen Kurven. Mit anderen Worten: Die Rallye Finnland ist nichts anderes als eine imposante Achterbahn für Autos. Der fröhliche Irrwitz der Fahrer lässt sich unmittelbar in Driftwinkeln und Flugdistanzen ablesen.
Dabei balancieren die Aktiven jederzeit am Limit, angestachelt von der immensen Leistungsdichte unter den Spitzenpiloten. Beispiel erste Etappe: Einsetzender Regen führte nicht dazu, dass auf den nun feuchten Schotterpisten langsamer gefahren wurde - das genaue Gegenteil war der Fall. Gleich auf vier Wertungsprüfungen fielen die bisherigen Streckenrekorde. Selbst Citroën-Pilot und Michelin-Partner Sébastien Loeb, als erster Starter eigentlich etwas gehandicapt, sicherte sich neue absolute Bestzeiten auf der WP 2 "Lankamaa" und WP 6/8 "Mökkiperä".
Nach einem gewaltigen Sprung blieb Loebs Beifahrer die Luft weg
Doch die Gefahr, einmal zu schnell unterwegs zu sein, fährt mit. So genannte "Big Moments" bleiben nicht aus. Wie auf der WP 5: "Wir kamen aus einer sehr schnellen Rechtskurve", rekapitulierte Loeb seine Schrecksekunde. "Dahinter verbarg sich keine Kuppe, sondern ein wahrer Abgrund. Wir sind nicht gesprungen, das ähnelte mehr freiem Fall." Copilot Daniel Elena ergänzt: "Die Landung war unglaublich hart, mir ist im wahrsten Sinne des Wortes die Luft weggeblieben. Ich habe wohl gejapst wie ein Fisch auf dem Trockenen."
Nach zuletzt sechs Siegen in Folge hatte sich der Titelverteidiger natürlich auch für Finnland Großes vorgenommen: Loeb wollte die dort fast als unschlagbar geltenden Lokalfavoriten bezwingen - eine Leistung, die vor ihm erst drei Nichtskandinaviern gelungen ist. Umso erstaunlicher, dass sich der Franzose bereits nach der zweiten Wertungsprüfung - eingedenk des Zuschauerspektakels am Vortag die erste ernstzunehmende Aufgabe - die Führung sicherte. Doch den Platz an der Sonne war der Xsara WRC-Bändiger schnell wieder los: "Magic" Marcus Grönholm legte ein Tempo vor, dass Loeb nicht mitgehen konnte und wollte. "Das war eigentlich ein guter Tag für uns", kommentierte der Elsäßer am Freitagabend im Etappenziel als Zweitplatzierter mit 5,8 Sekunden Rückstand auf Grönholm. "Wir liefern uns mit Marcus ein wunderbares Duell. Mein Auto und meine Michelin-Pneus fühlen sich perfekt an, ich habe 100 Prozent Vertrauen in das Fahrverhalten. Marcus attackiert sehr hart, wir aber auch."
Auf der längsten Wertungsprüfung blies der Citroën-Pilot zur Attacke
Auch der Samstag brachte kein neues Bild: Loeb jagt Grönholm, doch der Finne lässt sich nicht ins Bockshorn jagen - obwohl auch sein Beifahrer nach einem monumentalen Sprung mit entsprechend heftiger Landung über Rückenschmerzen klagt. "Wir pokerten heute morgen ein bißchen mit unseren Michelin-Rennreifen", gestand Sébastien in der Mittagspause. "Wir setzten einen Evolutionspneu ein, den ich zuvor kaum getestet hatte. Er erwies sich als enorm gut beim Beschleunigen und Bremsen, weswegen ich die Bestzeit in WP 10 erringen und bis auf 2,3 Sekunden zu Marcus aufschließen konnte. Allerdings ließ er in schnellen Kurven etwas Präzision vermissen - genau das, was wir auf den beiden, Ouininpohja\'-Highspeed-Prüfungen gebraucht hätten."
Am Nachmittag kehrte der Citroën-Fahrer zur bewährten Reifen-Mischung Z-BTO 9 zurück und setzte alle Karten auf die mit fast 41 Kilometern superlange WP "Moksi-Leustu". "Die ersten 75 Prozent haben wir gnadenlos attackiert", fasste Loeb zusammen. "Danach nahmen wir etwas Gas zurück, denn wir hätten die Zeit von Grönholm allenfalls egalisieren können, mehr nicht. Wir wussten: Der Kampf ist gelaufen." Zu allem Überfluss landete der französische Turbo-Allradler hinter einer Kuppe auch noch genau auf einem Stein, der keck aus der Straße empor ragte. Die Folge: Nicht nur die Felge, auch der Reifen wurde so heftig demoliert, dass selbst das pannensichere "Mousse"-ATS-System nach einem mehr als fünf Zentimeter langen Einschnitt die Beschädigung nicht mehr überspielen konnte. Citroën-Sportchef Guy Frequelin: "Das war reines Pech."
"Ich habe wirklich alles gegeben und muss mir nichts vorwerfen", zeigte sich Loeb Sonntag Mittag im Ziel zufrieden mit seinem zweiten Platz. "Marcus war einfach schneller, aber er geht hier auch zum 15. Mal an den Start und kennt die Strecken wie kaum ein zweiter."
In der Fahrer-Wertung hat der Titelverteidiger sogar Boden gut gemacht: Das ein bisheriger Verfolger Petter Solberg in Finnland lediglich auf Rang vier einlief, musste er den zweiten Rang in der Tabelle an Marcus Grönholm weiterreichen. Loebs Vorsprung wuchs dadurch nach zehn von 16 Saisonläufen von 27 auf 28 Punkte an. Sein Arbeitgeber, Michelin-Partner Citroën, musste die Spitzenposition in der Konstrukteurs-Wertung indes an Konzernschwester Peugeot weiterreichen: Die Löwenmarke liegt nun mit 106 Punkten um genau einen Zähler vorn.
WM-Punkte auch für Ford
Das Ford-Werksteam beendete die Rallye Finnland auf den Rängen fünf und sechs. Focus WRC-Pilot und Michelin-Partner Mikko Hirvonen musste sich erst nach hartem Kampf gegen Petter Solberg geschlagen geben, während Toni Gardemeister mit einer Reihen von schnellen Zeiten den Mitsubishi von Harri Rovanperä auf Platz sieben verweisen konnte. Die Skoda-Piloten Janne Tuohino und Armin Schwarz glänzten immer wieder mit Top-10-Zeiten, verpassten den Sprung in die WM-Punkte jedoch knapp.
Statistisches
- Rallye Finnland, 10. Lauf zur Rallye-WM 2005 (5. bis 8.8.2005);
- Gesamtlänge: 1.363,40 Kilometer, davon 21 Wertungsprüfungen über 355,04 Kilometer;
- Start/Ziel: Jyväskylä;
- Streckenbeschaffenheit: Schotter;
- längstePrüfung: WP 16 "Moksi-Leutsu" (40,96 km);
- kürzeste Prüfung WP 1/9 "Killeri" (2,06 km);
- größte WP-Distanz zwischen zwei Servicepunkten: 66,16 km (WP 18 bis 21);
- Reifenwahl: Michelin Z BTO HV.
- Michelin-Bilanz Rallye Finnland: 19 Siege seit 1982.