Jutta Kleinschmidt, die VW-Werkspilotin und Dakar-Siegerin von 2001 geht als eine der Favorit(inn)en in die diesjährige Ausgabe des weltberühmten Marathon-Raids. Im Interview erläutert sie, welche Heraus
Forderung insbesondere die Rennpneus ihres Race-Touareg bewältigen müssen und was sich im Vergleich zum Vorjahr geändert hat.
Wie schätzen Sie für die diesjährige Dakar Ihre Chancen ein?
Jutta Kleinschmidt: Ich denke, die Mitsubishi werden auch dieses Mal noch doMINIeren. Sie haben einfach 20 Jahre Vorsprung. Wir setzen zum Beispiel beim Motorkonzept auf einen Diesel, das ist im Vergleich zu einem Benziner auch nicht so einfach.
Wegen des höheren Gewichts?
JK: Nicht nur. Vor allem aufgrund der Leistungs-Charakteristik. Da stecken wir noch etwas in den Kinderschuhen. Aber wir haben uns vorgenommen, diese Aufgabe zu bewältigen. Wir sind bereits deutlich schneller als im Vorjahr. Aber uns steht eine schwierige Rallye bevor, da kann viel passieren. Wir müssen gucken, wer die meisten Fehler macht.
Also hat Ihr Team nicht dem Vorstand von VW versprochen, als Sieger aus dem Senegal heimzukehren?
JK: Nein, mit Sicherheit nicht. Das können wir noch nicht versprechen. Wir werden natürlich unser Bestes geben. Ich persönlich hoffe, dass uns wenigstens mit einem der vier Race-Touareg der Sprung aufs Podium gelingt.
Neben Bruno Saby und dem vierfachen Rallye-Weltmeister sowie ehemaligen Dakar-Gewinner Juha Kankkunen haben Sie als vierten und letzten Teamkollegen mit dem US-Amerikaner Robby Gordon eher einen Rundstrecken-Spezialisten bekommen, der allerdings auch Erfahrung mit Offroad-Wettbewerben hat - genügt dies?
JK: Wir hatten ihn schon bei Testfahrten dabei, er macht eigentlich einen sehr guten Eindruck. Autofahren kann er, das braucht er niemandem mehr beweisen. Er kann sich zudem mit Dirk von Zitzewitz auf einen erfahrenen Beifahrer verlassen. Dies reduziert etwas den Nachteil, dass er selbst die Dakar noch nicht kennt. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass ihm ein gutes Ergebnis gelingt.
Aus fahrerischer Sicht: Wie unterscheiden sich Marathon-Raids von konventionellen Rallyes wie zum Beispiel der WM-Rallye Monte Carlo?
JK: Der größte Unterschied ist schon einmal der Aufschrieb, den es bei uns nicht in dieser Form gibt wie zum Beispiel bei Läufen zur Rallye-Weltmeisterschaft. Da wird die Strecke vorher abgefahren, und der Fahrer diktiert dem Beifahrer jede einzelne Stelle, jeden Sprung und jede Kurve. Wird die Prüfung dann im Wettbewerb befahren, liest der Beifahrer seinem Piloten diesen Aufschrieb dann vor.
Wie läuft dies zum Beispiel bei der Dakar ab?
JK: Völlig anders. Bei den Marathon-Raids hat nur der Veranstalter die Pisten im Vorfeld besichtigt. Wir können die Strecken nicht vorher abfahren. Uns ist dieses „Training“ untersagt, selbst wenn wir dazu die Gelegenheit hätten. Dafür erhalten wir ein Roadbook, das jedoch ganz anders aussieht als ein Aufschrieb in der Rallye-WM: Es beinhaltet im Prinzip ausschließlich die Navigation, auch wenn gefährliche Stellen wie zum Beispiel besonders tiefe Löcher oder gefährliche Sprünge markiert sind.
Sie entscheiden also noch situativer?
JK: Als Fahrer muss ich die Bedingungen selber einschätzen, sobald ich den "Jump" oder das Loch sehe. Ich entscheide spontan, wie schnell ich an dieser Stelle fahren kann, ohne abzufliegen.
Gibt es noch weitere markante Unterschiede?
JK: Die Länge der Prüfungen. In der Rallye-WM reihen sich vergleichsweise kurze, bis zu 30 Kilometer lange Prüfungen aneinander. Bei uns misst eine "Speciale" zwischen 300 und 700 Kilometer. Das ist schon etwas anderes.
Welche Rolle spielt der Faktor Reifenabnutzung bei den Marathon-Raids?
JK: Der Verschleiß ist natürlich immer ein Thema. Bis jetzt durften wir unsere Rennpneus frei auswählen, doch das ist nun nicht länger der Fall. Jetzt kommt es vor allem darauf an, die Pneus vor Beschädigungen zu schützen.
Für die diesjährige Dakar gilt erstmals ein neues Reifenreglement...
JK: Als Werksteam dürfen wir nur noch einen, für alle einheitlichen Rennpneu benutzen - und das ist natürlich der besonders resistente „Stein“-Reifen. Daher gibt es keine große Entscheidungsfreiheit mehr, welchen Pneu ich wähle. Auch nicht für reine Sand-Etappen. Fortan steht eher der optimale Reifenluftdruck im Vordergrund als der Reifentyp selber.
Erschwerend kommt hinzu, dass erstmals für alle Teilnehmer automatische Luftdruck-Regelungen verboten sind. Wie wirkt sich dies aus?
JK: Wir haben bereits im vergangenen Jahr, als wir zum ersten Mal mit dem Race-Touareg gestartet sind, auf dieses System verzichtet. Es sollte schon 2004 verboten sein, darum haben wir erst gar nicht in diese Richtung entwickelt. Einen Monat vor Beginn der Veranstaltung wurde es jedoch wieder zugelassen, und wir standen etwas im kalten Wasser. Aber vielleicht war das ja ein gutes Training für dieses Jahr... (lacht). Fortan aber darf es niemand mehr einsetzen.
Passen Sie den Luftdruck während der Etappe trotzdem noch den wechselnden Bedingungen an?
JK: Eigentlich nicht - außer wenn wir uns festgefahren haben oder ich absehen kann, dass es ohne nicht weitergehen wird. Ich versuche vielmehr, von vornherein mit einem guten Luftdruck-Kompromiss in die Etappe zu starten. Jedes Mal aus- und einzusteigen, Luft ablassen und wieder aufpumpen - das würde einfach zu viel Zeit kosten. Dafür wechseln die Bedingungen auf den Prüfungen auch zu schnell. Wenn sich die AnForderungen zum Beispiel nach der Hälfte der Prüfung grundlegend ändern, dann würde ich vielleicht stoppen, um den Luftdruck anzupassen.
Wie gehen Sie bei der Wahl des Kompromiss-Luftdrucks vor?
JK: Für eine Etappe, die überwiegend sandig ist, wählen wir einen etwas niedrigeren Luftdruck. Wird es steiniger, starten wir lieber mit einem etwas höheren Luftdruck, um die Flanken der Pneus vor Beschädigungen zu schützen. Man muss von Tag zu Tag entscheiden, was auf dem Programm steht und welche Strategie wir fahren.
In welchem Bereich bewegen sich die Luftdrücke für Wüsten-Rennreifen?
JK: Wir fahren in normalem Terrain ungefähr einen Druck von 2,0 bar. Früher sind wir für extrem sandige Passagen mit dem automatischen Luftdrucksystem bis auf 1,0 bar hinunter gegangen. Heute legen wir uns vor dem Start der "Speciale" fest.
Unterscheiden Sie dabei zwischen Vorder- und Hinterachse?
JK: Eigentlich nicht. Auch wenn bei uns die hinteren Reifen etwas mehr arbeiten müssen als die vorderen und sich daher etwas stärker aufheizen.
Woran liegt das?
JK: Unser Race-Touareg springt auf der Hinterachse etwas mehr als vorne. Aber das liegt an der speziellen Gewichtsverteilung, die von Auto zu Auto verschieden ist.
Zurück zum Reifenreglement: Gilt es auch für die zahlreichen Privatiers, die bei der Dakar starten?
JK: Nein, nur für die Werksteams. Die privaten Teams dürfen so viele verschiedene Pneus benutzen, wie sie möchten. Auch die Menge ist nicht begrenzt.
Ein Wettbewerbsvorteil?
JK: Definitiv, vor allem auf sandigen Strecken. Mich würde es nicht wundern, wenn auf reinen Sand-Etappen zum Beispiel der eine oder andere Buggy plötzlich weit vorne auftaucht. Aber das ist in Ordnung: Warum sollen die nicht auch die Möglichkeit haben, einen Achtungserfolg zu erringen? Den Sieg machen trotzdem die Werksteams unter sich aus.
Wie unterscheiden sich die Wüsten-Rennreifen von BFGoodrich von konventionellen, frei käuflichen Offroad-Pneus?
JK: Der Unterschied wäre gar nicht einmal so groß. Auf sandigen Passagen könnte es sogar sein, dass die normalen Reifen schneller sind, da unsere "Rocky"-Tires dort systembedingt Schwächen haben. Dafür besitzen unsere Wettbewerbs-Pneus eine wahnsinnig feste und stabile Flanke. Selbst wenn wir über das gröbste Gestein fahren, treten kaum noch Schäden auf - obwohl wir auf solche Hindernisse, solange dort nicht das ganze Fahrwerk an einem Felsen hängenzubleiben droht, fast keine Rücksicht mehr nehmen.
Sollten Sie dennoch einen Reifenschaden auf freier Strecke erleiden - wie lange dauert für gewöhnlich der Tausch?
JK: Circa drei Minuten, ungefähr.
Wie intensiv wird dies trainiert?
JK: Mehrfach (lacht). Bis wir es können (lacht noch mehr). Also bis man es schnell kann. Können geht schnell, aber schnell können... (lacht laut). Im Ernst: Da muss jeder Handgriff sitzen. Fahrer und Beifahrer müssen aufeinander eingespielt sein und wissen, wer welche Aufgabe übernimmt.
Wie viele Ersatzräder dürfen Sie mitführen?
JK: Wir müssen mindestens zwei Reservepneus dabei haben, maximal sind vier erlaubt.
Was machen Sie auf Marathon-Etappen, also wenn in der Übernachtpause zwischen zwei Tagesprüfungen kein Werks-Service erlaubt ist?
JK: Dann nehmen wir natürlich vier Ersatzräder mit, denn wir dürfen abends auch keinen Reservereifen vom Lkw nehmen. Wir müssen definitiv beide Tage mit jenen Pneus durchkommen, die sich von Beginn an an Bord befinden. Man hofft natürlich immer, am ersten Tag ohne Reifendefekt durchzukommen, dann darf ich gemeinsam mit meinem Beifahrer zu Beginn des zweiten Tages vier neue aufziehen.
Wie stark ist die Reparaturzeit bei einem normalen Service während der Nachtpause eingeschränkt?
JK: Gar nicht, im Prinzip dürfen die Mechaniker so lange schrauben, bis wir wieder starten müssen.
Die Dakar stellt auch körperlich eine enorme Belastung dar - wie haben Sie sich physisch darauf vorbereitet?
JK: Ich trainiere viel auf dem Fahrrad, ab und zu jogge ich, das ist alles gut für die Kondition. In diesem Jahr bin ich zum Beispiel das "Race across America" mitgefahren - 5.000 Kilometer in acht Tagen… Auch beim "Ötztaler Rad-Marathon" war ich dabei: an einem Tag 230 Kilometer, aber mit 5500 Metern Höhenunterschied und über vier Alpenpässe. Ich muss schon viel trainieren, damit ich überhaupt diese Dinge schaffe (lacht). Dazu kommt noch etwas Gymnastik für die Gelenkigkeit und Muskelaufbau für Rücken und Hals, dann ist man fit für die Dakar.