Mit seinem Konzept wird der vor 65 Jahren präsentierte Omnibus Mercedes-Benz O 321 H/HL zu einem durchschlagenden Erfolg. Die Produktionszahlen belegen das eindrucksvoll: Zwischen Oktober 1954 und Dezember 1964 baut die damalige Daimler-Benz AG insgesamt 18.083 Busse, Fahrgestelle und ckd-Teilesätze des O 321 H/HL (ckd = completely knocked down; Teilesätze zur Montage in Exportländern). Die Konkurrenz, vor allem in Europa, kann da bei Weitem nicht mithalten. Der O 321 H/HL macht Mercedes-Benz zum führenden Bushersteller.
Der O 321 H/HL überzeugt kommunale, regionale und überregionale Netzbetreiber ebenso wie private Unternehmer. Er verschafft auf diese Weise Mercedes-Benz nicht nur einen erheblichen Vorsprung in Europa, sondern erschließt auch große und wichtige Auslandsmärkte, etwa in Lateinamerika.
Der O 321 H/HL wird ein Exportschlager und zum Botschafter der Marke sowie deutscher Qualitätsarbeit auf der ganzen Welt. Welche herausragende Basis diese Omnibusgeneration von Mercedes-Benz für die internationale Stellung der Marke im Bussegment legt, untermauert die Produktionszahl des noch erfolgreicheren Nachfolgers: Vom O 302 entstehen zwischen März 1965 und Juni 1976 insgesamt 32.281 Busse, Fahrgestelle und ckd-Teilesätze.
Erste umfassende Nutzfahrzeug-Neukonstruktion der Nachkriegszeit
Als Daimler-Benz im Dezember 1954 den O 321 H präsentiert (die um 1.325 Millimeter längere Variante O 321 HL wird Mitte 1957 erscheinen) ist der Zweite Weltkrieg nicht einmal zehn Jahre vorbei. Und Mitte der 1950er-Jahre befindet sich Deutschland immer noch im Wiederaufbau. Zwar hat das Unternehmen bereits 1945 die Produktion von Lastwagen und 1948 auch die Omnibusfertigung wieder aufgenommen. Doch gebaut werden zunächst ausschließlich Vorkriegskonstruktionen oder modifizierte Fahrzeuge auf Basis von Vorkriegstechnik.
Vorstellung des Mercedes-Benz 300 (W 186) und des 300 SL Rennsportwagens (W 194)
Ein unüberhörbares Aufbruchssignal ist im Frühjahr 1951 die Vorstellung des Repräsentationsfahrzeugs Mercedes-Benz 300 (W 186) und ein Jahr später des 300 SL Rennsportwagens (W 194): Mercedes-Benz meldet sich zurück im internationalen Geschehen. Im September 1953 stellt die Marke dann die Ponton-Limousine Typ 180 (W 120) unter anderem mit selbsttragender Karosserie vor, die erste echte Neuentwicklung im Pkw-Bereich, gefolgt 1954 vom 220 (W 180).
Ebenfalls 1954 debütieren die Seriensportwagen 190 SL (W 121) und 300 SL Gullwing (W 198). Doch wenn sich das Unternehmen national und international behaupten will, darf es nicht allein mit den Personenwagen an die Vorkriegserfolge anknüpfen, sondern auch mit Nutzfahrzeugen. Durchgesetzt hat sich zudem die Erkenntnis, dass für den Transport von Menschen andere Konstruktionsprinzipien gelten als für Sand, Stahl und Kisten: Die Basis des Lastwagens ist für einen Omnibus nur bedingt geeignet.
Konstruktionsprinzipien aus Personenwagen
Daimler-Benz wählt daher für den O 321 H einen innovativen Ansatz: Die Konstrukteure bedienen sich in der Ideenwelt der Ponton-Personenwagen und entwickeln den neuen Bus unter anderem mit Rahmenbodenanlage, mittragender Karosserie, Fahrschemel-Vorderachsaufhängung mit Schraubenfedern sowie Kugelumlauflenkung mit Dämpfer. Damit erfüllt das neue Nutzfahrzeug mühelos die AnForderungen nach hohem Komfort und ausgeprägter Fahrsicherheit. Hinzu kommen eine rationelle Produktion mittels semi-integraler Bauweise und insgesamt eine hohe Preiswürdigkeit des Produkts.
Die Rahmenbodenanlage ersetzt den konventionellen Leiterrahmen aus dem Lastwagenbau. Sie besteht aus einer geschweißten Bodenrahmengruppe mit einem stabilen und verwindungssteifen Mittelträger als Hauptmerkmal. Die Seitenwände sind zu hohen Längsträgern ausgebildet. In Verbindung mit dem Stahlprofil-Gerippeaufbau und der Beplankung bildet die Rahmenbodenanlage eine selbsttragende Einheit, umgesetzt in den Werkskarosserien. Der geschlossene Mittelträger dient zudem als Lüftungs- und Heizkanal sowie zur Aufnahme von Gestängen, elektrischen Kabeln und Druckluftleitungen. Zusätzlich bietet diese Konstruktion für externe Aufbauhersteller die gern genutzte Möglichkeit, Fahrgestelle mit Karosserien zu versehen.
Der Fahrschemel nimmt die Vorderachskonstruktion auf und ist leicht auszubauen. Vier breite Gummikissen stellen die Verbindung zum Aufbau her, was wesentlich zur Laufruhe und Vibrationsvermeidung beiträgt. Die Federung der starren Vorderachse erfolgt über weit außen angeordnete Schraubenfedern mit Zusatzfedern sowie groß dimensionierte Teleskopstoßdämpfer. Zwei Querlenker parallel zum Vorderachskörper nehmen die Kurvenkräfte auf. Eine Dreiecksstrebe leitet Längskräfte und Bremsmomente an der Vorderachse ab. Die blattgefederte Hinterachse hat einen kräftigen Drehstab-Stabilisator.
Agilität und Komfort
Die Kugelumlauflenkung mit Dämpfer ist für einen so großen Wagen sehr leichtgängig und auch weitgehend erschütterungsfrei, wie das Fachmagazin Lastauto und Omnibus in der Ausgabe 4/1955 schreibt. In Verbindung mit einem großen Lenkungseinschlag erreicht der O 321 H eine verblüffende Agilität. Sein Wendekreis beträgt 16 Meter. Im Alltag ist das von großem Vorteil: Der Bus lässt sich durch enge Städte manövrieren. Und im Fernverkehr kann er beispielsweise Alpenstraßen mit vielen Spitzkehren, etwa zum Stilfser Joch, ohne Zurückstoßen bewältigen.
Ein äußeres Signal seiner Modernität ist das Design des O 321 H. Mit der Frontgestaltung knüpft Hermann Ahrens an das Gesicht von 190 SL und 300 SL an und lässt damit den Bus zum Trendsetter für das Erscheinungsbild nachfolgender Nutzfahrzeuge werden. Und weil der Exportanteil des Busses mit rund 50 Prozent sehr hoch ist, macht er über Kontinente und Jahre hinweg breite Bevölkerungsschichten mit eben diesem Erscheinungsbild vertraut. Er wird in 63 Länder geliefert. Führende Abnehmer sind der Iran, die Vereinigte Arabische Republik, die Türkei, Österreich, SAudi-Arabien und Argentinien.
Der O 321 H überzeugt auf der ganzen Welt
Mit seinem Konzept überzeugt der O 321 H professionelle Fuhrparkbetreiber in aller Welt. Es gibt ihn als Stadtbus mit Falttüren vorn und hinten (45.000 DM), als Überlandbus mit Drehtüren (43.700 DM) und als Fernreisebus (44.800 DM). Beim Fernreisebus bringt eine Dachrandverglasung ein großzügiges Raumgefühl sowie Licht ins Interieur; zusätzlich kann er sogar mit einem Schiebedach geordert werden. Den Antrieb übernimmt der Dieselmotor OM 321, der aus 5,1 Liter Hubraum und sechs Zylindern 81 kW (110 PS) entwickelt genug für eine Höchstgeschwindigkeit von 95 km/h. Zum Vergleich: Der Personenwagen Mercedes-Benz 180 kommt auf 126 km/h und der 180 D auf 112 km/h.
Das Leergewicht je Fahrgastplatz ließ sich gegenüber dem O 3500 von 172,5 Kilogramm auf 138,5 Kilogramm absenken, die Leistung pro Tonne Gesamtgewicht aber von 11,6 auf 13,1 PS pro Tonne erhöhen. Wer wollte eine solche Entwicklung nicht als gesund bezeichnen?
Mannheimer Produktionserfolg
Am 26. April 1960 läuft im Werk Mannheim der 10.000. Omnibus der Baureihe 321 vom Band. Mit dieser Leistung hat die Daimler-Benz AG in Europa in der Omnibusproduktion einen Produktionserfolg erreicht, der sich in einem proportionalen Vergleich nur wenig von den Personenwagen unterscheidet.
Im Dezember 1964 läuft die Fertigung des O 321 H/HL im Werk Mannheim nach 18.083 Exemplaren aus. Damit endet die Karriere des bis dahin erfolgreichsten Omnibusses mit dem Stern, der in hohem Maß dazu beigetragen hat, gerade auch die globale Stellung der Marke Mercedes-Benz zu stärken und zu festigen. Der Nachfolger O 302 setzt diese Tradition mühelos und noch einmal erfolgreicher fort.