Motorsport ist Mannschaftssport. Dabei agieren die einzelnen Mitglieder manchmal auf unterschiedlichen Spielfeldern, betreiben unter Umständen sogar eine ganz andere Sportart. Bestes Beispiel dafür ist der I.D. R Pikes Peak, mit dem Volkswagen Pilot Romain Dumas am 24. Juni 2018 in 7:57,148 Minuten einen neuen Streckenrekord beim berühmtesten Bergrennen der Welt aufstellte. An der Realisierung des Projekts waren neben Volkswagen Motorsport eine ganze Reihe von Abteilungen innerhalb des Konzerns beteiligt. Die Hilfe der Kollegen aus der Serienentwicklung war ein entscheidender Pfeiler des Erfolges, sagt Volkswagen Motorsport-Direktor Sven Smeets.
So profitierten die Motorsportler, die mit dem ersten rein elektrisch angetriebenen Rennwagen der Marke vor allem im Bereich Hochvolt-Technologie Neuland betraten, zum Beispiel vom Erfahrungsschatz der Fachabteilungen für E-Mobilität in Wolfsburg oder dem Vorseriencenter (VSC) in Braunschweig. Dort wurden unter anderem Belastungstests mit einzelnen Batteriezellen und -modulen des I.D. R Pikes Peak durchgeführt, ein Sicherheitskonzept für die Hochvolt-Komponenten erarbeitet und an der optimalen Konzeptionierung der beiden Batteriepakete an Bord geforscht. Wir haben das umfangreiche Know-how auch genutzt, um die Abschirmung der mehrere Hundert Volt führenden Kabel des Antriebs zu den hochempfindlichen Signalleitungen der Steuerungselektronik zu erreichen, beschreibt Ex-Formel-1-Ingenieur Willy Rampf, technischer Berater von Volkswagen Motorsport beim Projekt I.D. R Pikes Peak.
Testfahrten mit Versuchsträger auf Prüfgelände in Ehra-Lessien
Als es in der Anfangsphase der Konstruktion des I.D. R Pikes Peak um Fahrversuche mit einem Versuchsträger auf Basis eines Golf GTI TCR ging, klopften die Motorsportler erneut bei den Kollegen aus Forschung und Entwicklung an. Auf dem Volkswagen Testgelände in Ehra-Lessien konnte der mit zwei Elektromotoren ausgerüstete Tourenwagen daraufhin Testrunden zur Datensammlung drehen. Dabei haben uns Ingenieure aus der Abteilung E-Traktion und Elektrische Komponenten unterstützt, beschreibt Volkswagen Motorsport-Direktor Smeets und betont die Begeisterung, die das Projekt konzernweit auslöste. Es gab auf dem Prüfgelände Ehra zum Beispiel bis dato kein Ladesystem, das die erForderlichen Kapazitäten für die Batterien des I.D. R Pikes Peak zur Verfügung stellen konnte. Innerhalb von vier Tagen hat man extra für uns eine solche Anlage aufgebaut.
Dass der I.D. R Pikes Peak schließlich in neuer Rekordzeit den Anstieg auf den 4.302 Meter hohen Gipfel bewältigte, lag auch an der fehlerfrei funktionierenden Technik des Elektro-Renners. Ein Garant war die aufwendige Qualitätskontrolle jedes einzelnen Bauteils. Mit Komponenten eines Elektroantriebs hatten wir bei Volkswagen Motorsport bis dahin keine Erfahrung. Auch hier hat uns die Unterstützung durch die Qualitätssicherung in Wolfsburg sehr geholfen, blickt Smeets zurück.
Für eine weitere Kooperation reisten die Ingenieure von Volkswagen Motorsport zu Porsche nach Weissach. Die mit LMP1-Rennwagen vertrauten Kollegen stellten wertvolle Teststunden im Windkanal zur Verfügung und lieferten Know-how auch zur Fertigung der aus ultraleichtem Kohlefaser-Kevlar-Verbundmaterial bestehenden Karosserie des I.D. R Pikes Peak. Wir haben bei Volkswagen den großen Vorteil, dass wir konzernweit auf Ressourcen zurückgreifen oder auch unsererseits anbieten können, sagt Smeets.
Erfahrungsaustausch in beide Richtungen
Der Wissenstransfer rund um den I.D. R Pikes Peak gestaltete sich nicht als Einbahnstraße von Forschung und Entwicklung zu den Motorsportlern. Der Austausch funktionierte ebenso in umgekehrter Richtung. Wir sind beim I.D. R Pikes Peak eine ganze Reihe von Problemen angegangen, die auch bei elektrisch angetriebenen Straßenfahrzeugen auftreten. Unsere Lösungsansätze und Erkenntnisse aus der Praxis des Rennbetriebes teilen wir natürlich mit den Kollegen aus der Serienentwicklung, sagt Rampf.
Ein zentraler Punkt: die Strategien beim Laden der Batterien. So dauert das externe Aufladen der Batterien des I.D. R Pikes Peak nur 20 Minuten, ein bei heutigen Serienfahrzeugen noch nicht erreichter Wert. Zwar lassen sich die mit hoher Leistungsdichte ausgestatteten Batterien eines Rennfahrzeugs mit denen von aktuellen Serienfahrzeugen (hohe Energiedichte für hohe Reichweite) nur bedingt vergleichen, aber schon jetzt sind bei der Volkswagen R GmbH Performance-gesteigerte Elektrofahrzeuge ein Thema, für die neue Batterietechnologien und Steuerungsstrategien gefragt sein werden.
Elektronik des Rennwagens liefert Erkenntnisse für Serienfahrzeuge
Auch aus der Antriebstechnologie des neuen Pikes-Peak-Rekordhalters ergaben sich wertvolle Erkenntnisse für zukünftige Straßenfahrzeuge. Im I.D. R Pikes Peak sind die beiden Motoren an Vorder- und Hinterachse nicht mechanisch miteinander verbunden. Die Koordinierung geschieht rein elektronisch. Das erFordert eine sehr komplexe Steuerung, erklärt Rampf. Vor allem bei den extremen Fahrwerten und Kräften, die auf den I.D. R Pikes Peak einwirkten.
Während der intensive Austausch von Wissen und Daten zwischen Volkswagen Motorsport und den Kollegen aus Forschung und Entwicklung im Laufe der Zeit zur Routine wurde, überraschte das Interesse einer kaum mit Rennsport befassten Abteilung die Motorsportler im ersten Moment. Ich hatte eines Tages eine Anfrage von Volkswagen Nutzfahrzeuge auf dem Tisch. Deren Ingenieure baten um Informationen zur Leichtbautechnologie des I.D. R Pikes Peak, erinnert sich Volkswagen Motorsport-Direktor Sven Smeets.
Doch so ungewöhnlich ist die Fragestellung gar nicht. Bei Volkswagen Nutzfahrzeuge wird künftig der I.D. BUZZ gebaut. Der Bulli mit Elektroantrieb kommt im Jahr 2022 auf den Markt und gehört zur I.D. Familie, der ersten rein elektrisch angetriebenen Baureihe von Volkswagen.