Wieder einmal verdient die Formel 1-Weltmeisterschaft ihren Namen ein Stückchen mehr: Mit dem Großen Preis von China verschwindet ein riesiger weißer Fleck auf der Landkarte des Grand Prix-Zirkus. Der Schritt ins Reich der Mitte bedeutet für die Formel 1 nicht nur den Aufbruch in unbekannte Gefilde, sondern zugleich den Eintritt in einen neuen, viel versprechenden Markt. Umso mehr wollen Reifenhersteller Michelin und seine sechs Partnerteams bei der China-Premiere glänzen. Die Streckenführung des vom deutschen Architekten Hermann Tilke gezeichneten Kurses hält dabei sowohl in Sachen Reifen als auch Abstimmung interessante Heraus
Forderungen bereit.
The only way is up: Obwohl der 5,451 Kilometer lange Kurs vor den Toren der 17-Millionen-Metropole Shanghai im Uhrzeigersinn gefahren wird und jeweils sieben Rechts- und Linkskurven aufweist, fahren die Piloten doch immerzu nach oben. "Die gesamte Streckenführung ist dem chinesischen Schriftzeichen shang nachempfunden, das so viel wie aufwärts oder oben bedeutet", erklären die deutschen Streckendesigner Hermann Tilke und Peter Wahl. Auch die Architektur an der ultramodernen Piste nimmt traditionelle chinesische Motive auf, so etwa die Teamgebäude, die wie Pavillons in einem See angeordnet sind und an den Yuyan-Garten in Shanghai erinnern sollen.
Der Shanghai International Circuit (SIC) weist die typische "Tilke-Mischung" aus Beschleunigungsphasen und hartem Herunterbremsen für enge Kurven auf, besitzt aber zugleich zwei Highspeed-Geraden. Dieses Layout Fordert Teams, Fahrer und Autos gleichermaßen und eröffnet gute Überholmöglichkeiten. Eine davon besteht in der doppelten Rechtskurve nach der Zielgeraden, die ihren Radius immer weiter verengt und in einen Linksknick mündet. Dieser Sektor dürfte zu den meisten Zweikämpfen ermutigen, da hier die Innenlinie der ersten zur Außenlinie der zweiten Kurve wird bzw. umgekehrt.
Für den mittelschnellen Kurs prognostizieren die Techniker eine Rundenzeit um 1.34 Minuten. Auf den beiden Hauptgeraden liegen voraussichtlich Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 320 km/h an.
Der Große Preis von China aus der Sicht von Michelin
Ähnlich wie der "Sepang Circuit" in Malaysia werden auch beim SIC die Reifen vor allem durch die harten Brems- und Beschleunigungspassagen geFordert. Als besonders anspruchsvoll dürfte sich die leicht bergab führende, lang gezogene Rechtskurve vor der Gegengeraden erweisen. Der endlos scheinende Bogen verlangt den Reifen ähnlich viel ab wie die berüchtigten Kurven des "Circuit de Catalunya" in Barcelona. In der zurückliegenden Testwoche in Silverstone erprobten sämtliche Partnerteams von Michelin bereits ihre Reifen für die verbleibenden drei Saisonrennen. Der britische Grand Prix-Kurs gilt neben Barcelona als der härteste für die Pneus und eignete sich daher besonders für die Simulation des Shanghai-Rennens.
Das erwarten die Michelin-Partner
Nachdem BAR-Honda durch das Ergebnis beim Großen Preis von Italien auf den zweiten Rang der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft kletterte, reist das britisch-japanische Team optimistisch in das Reich der Mitte: "Wir wollen den Vize-Weltmeistertitel", verkündet Chef-Designer Geoff Willis. "Um dieses Ziel zu erreichen, werden wir in den kommenden Saisonläufen diverse Modifikationen einsetzen, die unsere Leistungsfähigkeit nochmals steigern sollten." Und Jenson Button ergänzt: "Takuma Sato und ich absolvierten in Silverstone ein sehr erfolgreiches Testprogramm. Die neuen Aerodynamik-Komponenten und die Reifenoptionen, die uns Michelin zur Verfügung stellte, funktionierten hervorragend."
Nach dem vorzeitigen Abschied von Jarno Trulli vertraut das Renault F1-Team für den Rest der Saison 2004 auf die Dienste von Jacques Villeneuve: Gemeinsam mit Fernando Alonso soll der Formel 1-Weltmeister von 1997 den derzeitigen Rückstand von drei Punkten auf BAR-Honda aufholen. "Jacques zeigte sich bei den Testfahrten hochmotiviert und beeindruckte uns mit seinen Leistungen", lobt Flavio Briatore, Geschäftsführender Direktor der "Equipe Jaune". "Wir wollen den zweiten Platz zurückerobern. Diesem Ziel gilt unsere gesamte Konzentration."
Nach seinem Unfall beim Großen Preis der USA nahm Ralf Schumacher in der vergangenen Woche die Arbeit für BMW WilliamsF1 wieder auf: "In den drei Monaten meiner Abwesenheit, hat sich unser Williams-BMW FW25 deutlich verbessert", berichtet der Kerpener. "Ich kann den China-Grand Prix kaum erwarten." Auch Juan Pablo Montoya freut sich auf das Rennen: "Der Kurs bietet gute Überholmöglichkeiten", so der Kolumbianer, der am kommenden Montag seinen 29. Geburtstag feiert. "Ich denke, wir werden den Fans eine gute Show bieten."
Mit großen Ambitionen geht McLaren-Mercedes in Shanghai an den Start: "Unsere Leistungen in den vergangenen Wochen unterstrichen eindrucksvoll, dass wir leistungsfähig genug sind, wieder um Siege zu kämpfen", freut sich Kimi Räikkönen angesichts seines Triumphs beim Großen Preis von Belgien und den guten Resultaten bei den Testfahrten. Und auch Teamchef Ron Dennis sieht den jungen Finnen und seinen Teamkollegen David Coulthard wieder im Kreis der Sieganwärter angekommen. "Bereits beim Italien-Grand Prix zählten wir zu den Schnellsten auf der Strecke."
Trotz oder gerade wegen des überraschenden Abschieds aus der Königsklasse rechnet sich Jaguar Racing für das kommende Wochenende einiges aus: "Vom Layout her ähnelt der Shanghai International Circuit dem Kurs in Bahrain", so Dr. Mark Gillan, Leiter der Entwicklungsabteilung. "Und beim dritten Saisonlauf sammelten wir unsere ersten Punkte." Auch beim Großen Preis von China wollen Mark Webber und Christian Klien wieder WM-Zähler einfahren.
Ähnlich lautet die Zielsetzung bei Toyota F1: "Genau wie in Bahrain beginnen alle bei Null", erklärt Olivier Panis. "Im Wüstenstaat sahen wir sehr gut aus und verpassten die Punkteränge nur knapp. Hoffentlich läuft es am kommenden Wochenende etwas besser. Wir arbeiten sehr eng mit Michelin zusammen, und ich bin sehr optimistisch." In der vergangenen Woche griff übrigens Jarno Trulli erstmals für seinen neuen Arbeitgeber ins Lenkrad. Ob der Italiener allerdings auch beim Großen Preis von China zum Einsatz kommt, bleibt fraglich.
Ralf Schumacher (BMW WilliamsF1): Shanghai wird neue Standards setzen
"Es ist schwierig, eine Strecke zu beurteilen, auf der wir noch nie gefahren sind. Aber ich war Ende 2003 vor Ort und habe auch mit Hermann Tilke gesprochen, der ja viele andere Strecken entworfen hat. Und dieses Layout sieht noch vielversprechender aus. Es gibt lange Geraden, lang gezogene Kurven, in denen man überholen kann, und auch enge Kehren – die Sache verspricht interessant zu werden. Ich glaube, Shanghai wird in mancher Hinsicht neue Standards setzen."
Olivier Panis (Toyota F1): Erwarte anspruchsvolle Streckenführung
"Ich finde es gut, dass die Formel 1 in diesem Jahr gleich zwei Mal Neuland betritt und freue mich auf den Lauf in China. Nach allem, was ich gehört habe, soll der Kurs sehr anspruchsvoll und die chinesischen Fans sehr begeisterungsfähig sein. Ich denke, wir dürfen uns auf ein aufregendes Wochenende freuen."
Statistisches
Großer Preis von China, Shanghai International Circuit,16. Lauf zur FIA-Formel 1-Weltmeisterschaft 2004 (26. September 2004);Renndistanz: 56 Runden à 5,451 km = 305,256 km.