Ein Verkehrsunfall ist für die Betroffenen meist schon Schicksalsschlag genug. Noch tragischer wird es allerdings, wenn der Unfallverursacher keine Kfz-Haftpflichtversicherung hat. Der Geschädigte steht dann vor der bangen Frage, wer für den Sachschaden aufkommt. Bei Verletzungen geht es auch um die Kosten für die Behandlung und Rehabilitation, die schnell in die Hunderttausende gehen können.
Solche Unfälle gibt es auf europäischen Straßen immer wieder, obwohl in allen Ländern der Europäischen Union (EU) eine Kfz-Haftpflichtversicherung gesetzlich vorgeschrieben ist. Doch während in Deutschland ein strenges Kfz-Zulassungssystem eine nahezu vollständige Abdeckung garantiert, gibt es in einigen Ländern zum Teil erhebliche Lücken. Laut einer Schätzung der Kommission des Verbandes der europäischen Zulassungsbehörden von 2013 summieren sich die Schäden durch unversicherte Unfälle in der EU auf fast eine Milliarde Euro pro Jahr.
Rettungsnetz Verkehrsopferhilfe
Damit Betroffene nicht im Regen stehen, gibt es in Deutschland die Verkehrsopferhilfe ein Verein, der von den deutschen Autoversicherern getragen wird. Ursprünglich als Fahrerfluchtfonds gegründet, um Opfern von Fahrerflucht zu helfen, hat die Verkehrsopferhilfe später die gesetzliche Aufgabe als nationaler Garantiefonds übernommen. Seither kümmert sie sich auch darum, dass Menschen geholfen wird, die in Unfälle mit nicht versicherten Autos verwickelt wurden. "Die Verkehrsopferhilfe ist das Rettungsnetz", sagt Jörg Elsner, Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht aus Hagen. Sie hilft nicht nur in Deutschland, sondern auch, wenn Deutsche im Ausland Opfer eines Unfalls mit einem nichtversicherten Fahrzeug geworden sind.
Zulassungslücken im EU-Ausland
Am größten ist das Risiko in Südosteuropa: In Bulgarien oder Rumänien sind schätzungsweise 19 bzw. 15% aller Autos nicht versichert. Doch auch in Westeuropa ist die Verbreitung von Kfz-Haftpflichtversicherungen keineswegs überall lückenlos. In Großbritannien lag die Zahl der unversicherten Autos noch vor wenigen Jahren bei mehr als zwei Millionen. Das waren etwa 6% aller Fahrzeuge. Seit 2005 wurden zwar insgesamt 1,2 Millionen nicht versicherte Autos aus dem Verkehr gezogen. Trotzdem haben noch immer rund eine Million Autofahrer keine Police.
Selbst in Frankreich sind Schätzungen zufolge sind bis zu 740.000 Autos nicht versichert rund 2% aller Fahrzeuge. 6% aller Verkehrstoten und sogar 10% aller Personenschäden passieren in Frankreich bei Unfällen, in denen es keinen Versicherungsschutz gibt. 2013 waren das 192 Tote und rund 5.400 Verletzte. "Unversicherte Fahrzeuge verursachen in Frankreich Kosten von über 100 Millionen Euro pro Jahr zu Lasten der Versicherungsnehmer. Das ist durchaus vermeidbar und die Versicherungswirtschaft arbeitet zusammen mit dem InnenMINIsterium daran, dieses Problem anzugehen", erklärt Alexis Merkling von der französischen Vereinigung der Versicherungsgesellschaften (FFSA).
Hohe Sicherheit in Deutschland
Ganz anders die Situation hierzulande: Die Verkehrsopferhilfe sprang im Vorjahr lediglich 139 Mal bei Unfällen mit nicht versicherten Fahrzeugen in Deutschland ein und zahlte insgesamt rund eine halbe Million Euro. Zum Vergleich: Insgesamt gab es rund 2,4 Millionen polizeilich registrierte Verkehrsunfälle in Deutschland. Außerdem wurde die Verkehrsopferhilfe in 91 Fällen aktiv, bei denen Deutsche im Ausland in Unfälle mit einem nichtversicherten Fahrzeug verwickelt waren.
"Dass Deutschland die Probleme in dem Ausmaß nicht kennt, hat vor allem mit dem hiesigen Zulassungssystem zu tun", erklärt Bernhard Gause, der beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft als Mitglied der Hauptgeschäftsführung den Schaden- und Unfallbereich verantwortet. Denn in Deutschland bekommt nur eine Zulassung, wer bereits die Deckungszusage einer Versicherung vorweisen kann. Und selbst wenn er die Versicherung kündigt, bleibt der Versicherungsschutz für das Verkehrsopfer vorerst bestehen. "Die Versicherung muss die Kündigung der Zulassungsstelle mitteilen und ist dann noch gegenüber dem geschädigten Dritten einen Monat in der Nachhaftung", erklärt Gause. "Die Behörde Fordert den Halter dann auf, unverzüglich neuen Versicherungsschutz nachzuweisen. Anderenfalls wird das Fahrzeug aus dem Verkehr gezogen."
Dank dieses engmaschigen Systems ist die Zahl der unversicherten Autos in Deutschland verschwindend gering. "Denn," so Bernhard Gause, "ein Fahrzeughalter muss in Deutschland schon sehr planvoll vorgehen, um den gesetzlichen Versicherungszwang zu umgehen und sich nach Kündigung seiner Versicherung der Zwangsstillegung zu entziehen." Auch in Österreich, Belgien oder Finnland sorgen vergleichbare Regeln für eine sehr niedrige Zahl unversicherter Fahrzeuge.
Verkehrsopferhilfe überträgt Schadenregulierung an Versicherer
Opfer eines Unfalls mit einem unversicherten Fahrzeug zu werden, ist in Deutschland also sehr unwahrscheinlich jedoch nicht unmöglich. "Aber wenn es doch einmal passiert, gibt es ja die Verkehrsopferhilfe", sagt Fachanwalt Elsner. Sie prüft dann zunächst, ob ein Antrag die Voraussetzungen erfüllt. Anschließend gibt sie den Fall an ein Mitgliedsunternehmen ab. Wird das Opfer entschädigt, tragen die deutschen Autohaftversicherer, die den Verein tragen, die Kosten. "Das Verfahren kann bisweilen einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber im Ergebnis wird unschuldigen Opfern in berechtigten Fällen geholfen", sagt Werner Kaessmann, Generalsyndikus des ADAC. Der Automobilclub vertritt bei Streitfällen die Belange der Geschädigten und Versicherten in einer unabhängigen Schiedsstelle.
Aus Sicht des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) leistet die Verkehrsopferhilfe damit einen "unverzichtbaren Beitrag". "Wir müssen alles dafür tun, Tod und Leid zu verhindern", sagt DVR-Präsident Walter Eichendorf. "Aber genauso wichtig ist es, sich um die Opfer zu kümmern, die mit den Folgen eines Unfalls zurechtkommen müssen manchmal ein Leben lang."