Mit einem Ausweichassistent (Emergency Steer Assist) beschreitet der Autozulieferer Continental einen völlig neuen Weg bei unfallverhütenden Fahrerassistenzsystemen. "Während sich bisherige Systeme darauf beschränken, in die Längsdynamik einzugreifen, ist der Emergency Steer Assist die querdynamische Ergänzung des Notbremsassistenten", sagte Dr. Peter Laier, Leiter des Geschäftsbereichs Chassis Components der Division Chassis & Safety. "Wenn der Fahrer aus höheren Fahrgeschwindigkeiten die letzte Möglichkeit zum Bremsen verpasst hat, gibt es immer noch die Möglichkeit, durch Lenken bzw. Ausweichen den Unfall zu vermeiden. Dieses Potential wird heute noch nicht aktiv in der Fahrsicherheit genutzt."
Der Ausweichassistent kann den Fahrer jetzt dabei unterstützen, an einem Hindernis vorbeizulenken. Dafür greift er auf in vielen Fahrzeugen bereits vorhandene Technologien zu. Je geringer der Straßenreibwert (Regen, Schnee) desto weiter liegen die beiden Möglichkeiten "Bremsen" oder "Ausweichen" räumlich auseinander. Das heißt, Ausweichen ist immer noch möglich, selbst lange nach der letzten Chance mit einer Notbremsung alleine den Unfall zu verhindern.
Chassis lernt mit Hilfe von Sensoren sehen
Grundvoraussetzung für den Einsatz des Ausweichassistenten in einem Fahrzeug sind Sensoren, die den Verkehrsraum vor dem Fahrzeug möglichst weiträumig überwachen. "Je zuverlässiger und genauer dieses Bild der anderen Verkehrsteilnehmer und des Straßenraums ist, desto zuverlässiger kann der Ausweichassistent den Fahrer bei seiner Entscheidung unterstützen, zum Beispiel links oder rechts an einem plötzlichen Stauende auf der Autobahn vorbeizulenken", sagte Bernd Hartmann, Manager Chassis Systems Advanced Engineering bei der Division Chassis & Safety. Zum Einsatz kommen werden in einer 1. Stufe die derzeit etwa beim intelligenten Tempomaten (ACC, Adaptive Cruise Control) verwendeten Radarsensoren. Zudem arbeitet die Entwicklung daran, die Videobilder von Kamerasystemen, wie sie schon beim Fernlichtassistenten in Serie sind, mit den Radarsignalen zusammenzuführen. Auf diese Weise lernt das Chassis zu "sehen", so dass die Sicherheitssysteme des Fahrzeuges frühzeitig über eine kommende Gefahrensituation informiert werden.
Damit wird das Fahrzeug in den "Sicherheitsmodus" versetzt. "Ziel ist es, ab diesem Moment, einen Unfall zu vermeiden, Komfortaspekte treten in den Hintergrund", sagte Hartmann. Für das Ausweichmanöver wird die höchstmöglich sichere Straßenlage des Fahrzeugs angestrebt, das ESC ist vorbereitet, in den entscheidenden Momenten durch gezieltes, frühes Anbremsen einzelner Räder das Fahrzeug bei der schnellen Ausweichbewegung in der Spur zu halten und es zu stabilisieren. Als weitere Option für die Zukunft ist es auch denkbar, bei Fahrzeugen mit aktiver Wankstabilisierung oder adaptivem Fahrwerk die Feder- und Dämpferkennlinien auf den Modus "hart" zu verstellen.
Trajektorie der Fahrbewegung
Die Entscheidung, mit einer Vollbremsung vor dem Hindernis zum Stehen zu kommen oder daran vorbeizulenken, bleibt immer dem Fahrer überlassen. Er erhält vom Fahrerassistenzsystem eine Warnung, dass er sich auf eine gefährliche Situation zu bewegt. Diese kann über einen Warnton oder auch durch eine haptische Warnung erfolgen, also zum Beispiel ein spürbares Anbremsen oder eine spürbare Gegenkraft des aktiven Gaspedals (AFFP®, Accelerator Force Feedback Pedal) von Continental. Entscheidet sich der Fahrer zum Ausweichen, errechnet das System in wenigen Millisekunden, wie der optimale Ausweichvorgang, die sogenannte Trajektorie der Fahrbewegung, aussehen könnte. Eine solche Ausweichkurve sollte mit einer harmonischen Lenkbewegung ausgeführt werden, damit das Fahrzeug stabil bleibt. Durch den Vergleich des Soll- und des tatsächlichen gewählten Lenkwinkels erkennt der Ausweichassistent, ob der Fahrer stark genug oder möglicherweise auch zu stark einlenkt und kann ihm durch eine leichte Kraft im Lenkrad unterstützen. "Auch in dieser Situation liegt aber die endgültige Entscheidung immer beim Fahrer, er kann sich über diese Hilfestellung des Ausweichassistenten hinwegsetzen, wenn es die Situation erFordert", sagte Dr. Laier.
Vernetzung der Systeme im Fahrzeug ermöglicht Ausweichassistent
Alle Systeme, die für den Ausweichassistenten erForderlich sind, werden derzeit schon in Serienfahrzeugen eingesetzt. Radar- und Videosensoren arbeiten zuverlässig in Fahrerassistenzsystemen, die elektronische Stabilitätskontrolle ESC (Electronic Stability Control) wird in Deutschland inzwischen in über 80% der Pkw-Neuzulassungen eingebaut und ist ab 2011 für alle neuen Fahrzeugtypen und Ende 2014 für alle Neuwagen Pflicht. Elektrische Lenkungen werden in immer mehr Fahrzeugen eingesetzt. Auch die aktiv lenkende Hinterachse findet zunehmend Verbreitung. Sie ermöglicht eine schnelle und stabile Ausweichbewegung, da die mitgelenkten Hinterräder das Notmanöver unterstützen. Der Ausweichassistent verknüpft alle nützlichen Informationen der vorhandenen Systeme miteinander. Weil die erForderlichen Komponenten in vielen Fahrzeugen vorhanden sind, können Automobilhersteller den Ausweichassistenten somit relativ kostengünstig umsetzen.
Ausweichen oder Vollbremsung
Ein gezieltes Ausweichmanöver bietet in bestimmten Gefahrensituationen auch dann noch Chancen, einen Unfall zu verhindern, wenn der Fahrer den letzten Entscheidungspunkt für eine Vollbremsung verpasst hat. So zeigen Simulationsrechnungen für ein heutiges Mittelklassefahrzeug, dass auf trockener Fahrbahn der Punkt, an dem der Fahrer aus Tempo 100 eine Vollbremsung vor einem stehenden Hindernis einleiten muss um eine Kollision zu vermeiden, bei ca. 40 m liegt. Ein ungebremstes Ausweichmanöver hingegen kann noch bei einem um 30% verringertem Abstand zum Hindernis vollzogen werden. Verringert sich der Straßenreibwert bei nasser Fahrbahn auf die Hälfte, so liegt die letzte Möglichkeit zum Ausweichen sogar bei 50% des Wertes der für eine Kollisionsverhinderung durch reines Bremsen allein notwendig ist. Damit vergrößert sich auch die Zeitmarge zwischen dem Entscheidungspunkt "last point to steer" und "last point to brake". Grundlage dieser Berechnungen ist, dass für das Ausweichmanöver eine komplette Fahrspurbreite Ausweichraum zu Grunde gelegt wurde, wie sie etwa bei einem mitten in der Spur stehenden Hindernis notwendig ist.
In innerstädtischen Bereichen ist Bremsen das Mittel der Wahl. Durch die niedrigere Fahrgeschwindigkeit zeigt hier eine Vollbremsung im Vergleich zum Ausweichen effektiver Wirkung. Der Notbremsassistent-City, wie ihn Continental seit zwei Jahren im Serieneinsatz hat, verhindert Kollisionen im Bereich des Innerortstempos oder mindert ihre Folgen, wenn der Fahrer nicht reagiert hat.
Ausweichassistent ein weiterer Baustein von ContiGuard®
Mit dem Ausweichassistenten erweitert Continental sein Portfolio im Bereich moderner Fahrerassistenzsysteme. Dazu gehören Komfort-Fahrerassistenzsysteme (Komfort-ADAS), die den Fahrer von Routinefunktionen entlasten und es ihm ermöglichen, auch in kritischen Verkehrssituationen souveräner und konzentrierter zu reagieren. Unmittelbar in Gefahrsituationen hingegen greifen Sicherheits-Fahrerassistenzsysteme (Safety-ADAS) ein, um zum Beispiel einen Auffahrunfall (Notbremsassistent) zu vermeiden.
Der Ausweichassistent ist ein weiterer Baustein des Continental-Sicherheitskonzepts ContiGuard®. Dieses eröffnet eine neue Dimension von Fahrsicherheit, denn ContiGuard® integriert aktive und passive Sicherheitssysteme, die durch Umfeldsensoren und deren koordiniertes Zusammenspiel noch wirksamer und umfassender werden. Mit ContiGuard® können Automobilhersteller auf dem Weg zur Vision Zero einem Verkehrsgeschehen ohne Unfalltote effizient Unfälle vermeiden oder die Unfallfolgen und Verletzungsrisiken für alle Verkehrsteilnehmer MINImieren.