Von den 20er bis in die 50er Jahre war die Mille Miglia das berühmteste Straßenrennen der Welt. Gewonnen hat sie vor genau 50 Jahren ein Rennwagen von
Lancia, der legendäre D 24 Spider mit Alberto Ascari am Steuer. Dieses legendäre Fahrzeug kommt jetzt anläßlich des 50. Jubiläums bei der Neuauflage der Mille Miglia wieder zum Einsatz.
Die Hitze des Motors. Unerbittliche Konzentration über mehr als elf Stunden. Die engen Kehren am Futa-Pass bei Bologna, das holprige Pflaster in den Städten, die Geraden in der Lombardei mit ausgedrehtem viertem Gang und Tempo 250 km/h – ein ständiger Wechsel der AnForderungen, über 1.600 Kilometer Strecke.
Die Lancia D 20 und D 23: Schönheit in Dunkelrot
Das Unternehmen aus Turin befand sich zu Beginn der 50er Jahre auf einem steilen Höhenflug. Gianni Lancia hatte 1948 die Nachfolge seines elf Jahre zuvor verstorbenen Vaters Vincenzo angetreten. Der neue Chef war ein enthusiastischer Motorsport-Fan. Die 1950 vorgestellte, technisch hochmoderne Aurelia fuhr nicht nur am Markt große Erfolge ein - als Coupé mit dem Werkscode B 20 holte sie auch zahlreiche Siege auf der Rennstrecke. 1951 und 1952 beherrschte sie bei der Mille Miglia ihre Klasse bis 2000 cm3.
Gianni Lancia aber wollte mehr – er träumte von Triumphen im ganz großen Sport. Mit der Technik der Aurelia ließ er in der Werkstatt an der Via Monginevro in Turin die Sportwagen der so genannten D-Serie bauen. Chefkonstrukteur Vittorio Jano, ehemals die treibende Kraft von Alfa Romeo, entwarf ihr Layout, Battista Pinin Farina zeichnete die AluMINIum-Haut über dem Rohrrahmen-Chassis. Mit ihrer dunkelroten Lackierung gelten sie heute als Klassiker in Funktionalität und Ästhetik. Gianni Lancia achtete sorgsam darauf, dass seine Autos stets in makellosem Glanz zu den Rennen antraten.
Anfang 1953 erschienen zunächst das Coupé D 20 und der offene D 23. Ihre V6-Motoren, die wie bei der Aurelia 60 Grad Zylinderwinkel aufwiesen, verfügten über vier obenliegende Nockenwellen. Von drei Weber-Doppelvergasern gefüttert, leisteten sie mit 2,5 bis 3,0 Liter Hubraum 138 kW (187 PS) bis 176 kW (240 PS).
Die ganz großen Erfolge blieben dem neu gegründeten Werks-Rennstall, der als Logo den kleinen rennenden Elefanten, den "elefantino" gewählt hatte, mit diesen beiden Typen noch versagt. Vom Start weg erwiesen sich die Lancia als schnell, ihr überlegenes Handling kompensierte das PS-Manko, das sie gegenüber den Ferrari aufwiesen. Aber immer wieder wurden sie von Defekten zurückgeworfen, am Nürburgring etwa gaben die Batterien mitten im Rennen auf. Immerhin reichte es für Felice Bonetto für einen Sieg im Grand Prix von Portugal auf dem D 23, und Umberto Faglioli gewann mit dem D 20 die Targa Florio.
Der Lancia D 24: Ein konsequenter Rennwagen
Im Sommer 1953 aber stieß ein Erfolgstyp zu der kleinen Lancia-Phalanx – der D 24. Gegenüber seinen Vorgängern war der in nur sechs Wochen entwickelte Spider ein deutlich konsequenterer Rennwagen. Im Radstand von 2.600 auf 2.400 Millimeter verkürzt, wog er statt 800 Kilogramm nur noch um die 760. Sein V6, auf 3.284 cm3 vergrößert, gab um 184 kW (250 PS) ab, bei etwa 6.500 U/min – damit war er gut für etwa 260 km/h Spitze. Der tief platzierte Motor war als mittragendes Element in das Chassis integriert, das nur 70 kg auf die Waage brachte. Die Kraft floss auf ein neu entwickeltes Vierganggetriebe – ganz im Stil des Hauses saß es an der Hinterachse, einer aufwändigen De-Dion-Konstruktion. Dort bildete es mit dem Sperrdifferenzial, das ZF aus Deutschland zulieferte, und den Trommelbremsen eine gemeinsame Baugruppe.
Im November 1953 erfüllten sich Lancias Hoffungen, und zwar in sensationeller Manier. In der Reihenfolge Juan Manuel Fangio – Piero Taruffi – Eugenio Castellotti, Letzterer auf einem D 23, feierte das Team einen Dreifachsieg bei der Carrera Panamericana, der Materialschlacht in Südamerika über 3.077 Kilometer Länge. Wirklich freuen aber konnte sich darüber niemand – auf der vierten der acht Etappen war Bonetto, der Sieger von Portugal, beim Durchfahren eines Dorfs namens Silao tödlich verunglückt.
1954: Ascaris Pechsträhne vor dem Start der Mille Miglia
Im Juli 1953 hatte Gianni Lancia entschieden, in die schon damals höchst prestigeträchtige Formel 1 einzusteigen. Im Januar 1954 begann die Entwicklung des Monoposto D 50, einer radikal neuartigen Konstruktion mit einem 2,5-Liter-V8-Motor. Trotz dieses ehrgeizigen Projekts, das viele Ressourcen band, erlebten die Sportwagen eine gute Saison. Im September 1954 zündete sogar noch die letzte Evolutionsstufe, der D 25 mit einem 217 kW (295 PS) starken 3,8-Liter-V6. Mit seiner Vorgänger-Version, dem D 24, doMINIerte Taruffi Ende Mai 1954 die Targa Florio. Nur wenige Wochen zuvor war Lancias großer Traum vom Gesamtsieg bei der Mille Miglia in Erfüllung gegangen.
Die "Mille" 1954, die vom 30. April auf den 1. Mai stattfand, führte zwar wie immer von Brescia über Rom in die Lombardei zurück, verlief aber über einen leicht abgeänderten Kurs – zu Ehren des verstorbenen Tazio Nuvolari bezog er dessen Heimatstadt Mantua ein. Neu war auch das Reglement. Erstmals war kein Beifahrer mehr vorgeschrieben. Alle Experten erwarteten einen Zweikampf zwischen den vier Ferrari mit ihren mächtigen Fünfliter-V-12 und den vier Lancia D 24. Das Turiner Team hatte Castellotti, Taruffi, Gino Valenzano und als Starfahrer den Ex-Ferrari-Piloten Alberto Ascari verpflichtet.
Der zweimalige Weltmeister wirkte vor dem Start überaus nervös. Er war kein Freund von Straßenrennen, er hatte aus ganz persönlichen Gründen zugesagt: Ursprünglich hatte sein Freund Luigi Villoresi antreten sollen, der aber hatte sich bei einem Unfall schwer verletzt. Und dann entwickelte sich für den Piloten aus Mailand noch eine schier unglaubliche Pechsträhne: Ein Tankwart goss versehentlich Benzin in den Öltank seines Wagens. Bei einem Roll-Out danach war Ascari vom Handling seines B 24 so wenig überzeugt, dass er darauf beharrte, in den Ersatzwagen umzusteigen. Der wiederum wurde wenige Stunden vor dem Start von einem Lkw demoliert – die Mechaniker reparierten das Heck in Rekordzeit, und Ascari konnte rechtzeitig zum Start in der Viale Rebuffone rollen.
Das Rennen: Viele Ausfälle und ein triumphaler Sieg
Auch der D 24 war kein hundertprozentig standfestes Rennauto; sein größtes Manko war der hohe Öldurst, der auf Probleme mit der neuen Trockensumpfschmierung zurückging. Er wurde Valenzano zum Verhängnis: Von der rapide fallenden Druckanzeige für einen Moment abgelenkt, kam er in einer Kurve nahe Pescara von der Strecke ab und überschlug sich mehrfach. Castellotti schied mit Motorschaden aus, und Taruffi, der vom Start weg über weite Strecken in Führung gelegen hatte, geriet unweit von Florenz von der Straße, als ihn ein anderes Fahrzeug blockierte – der Lancia-Stab, der in Iseo bei Brescia Quartier bezogen hatte, musste drei Hiobsbotschaften hinnehmen. Den großen Ferrari aber erging es noch schlimmer – keiner von ihnen beendete das Rennen. Insgesamt fielen 99 der 374 gestarteten Autos aus.
Der Sieger war am Ende kein Anderer als Alberto Ascari mit der Startnummer 602. Nach über 1.600 Kilometern und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 139,645 km/h erreichte er das Ziel in Brescia mit 34 Minuten Vorsprung auf den Zweiten, einen Zweiliter-Ferrari – obwohl ihm das Pech treu geblieben war, in Form des Bruchs einer Drosselklappen-Rückholfeder. Als Ersatz musste das Strumpfband einer Zuschauerin herhalten; die Notreparatur gelang. Eine weitere dramatische Fußnote schrieb Porsche-Werksfahrer Hans Herrmann in die Chronik dieses Rennens: Kurz nach dem Start schoss er im allerletzten Moment über einen Bahnübergang, unter der schon beinahe gesenkten Schranke hindurch und knapp vor der Lok des herandonnernden Zugs.
Die Laufbahn des D 24 klang mit drei Siegen bei italienischen Rennen im Herbst 1954 aus.Von den neun gebauten D 24 haben, soweit bekannt, zwei Autos überlebt. Eines von ihnen steht in der Lancia-Sammlung in Turin. Das andere hatte Lancia 1955 dem argentinischen Präsidenten Perón geschenkt; es ist nach Europa zurückgekehrt und nimmt gelegentlich an Oldtimer-Rennen teil.