Fahrdynamik entsteht nicht nur in den Entwicklungszentren der BMW Motoren- und Fahrwerkskonstrukteure, sondern auch auf Teststrecken und Versuchsarealen. Dort werden alle Innovationen in langen Testreihen und unter anspruchsvollen Bedingungen auf die Probe gestellt, aufeinander abgestimmt und verfeinert. Für besonders intensive Erprobungsfahrten steht der BMW Group das unternehmenseigene Versuchsgelände Autodrome de Miramas in Südfrankreich zur Verfügung.
Die zwischen Marseille und Avignon gelegene ehemalige Rennstrecke bietet beste Voraussetzungen, um die BMW typische Fahrdynamik eines neuen Modells unter verschiedensten Bedingungen ausgiebig zu erproben und zu optimieren. Auch bei der Entwicklung des neuen BMW 7er kam den umfangreichen Testfahrten auf dem Versuchsgelände in Miramas eine Schlüsselrolle zu. Die Fahrwerkstechnik der Limousine wurde einem umfangreichen und vielfältigen Testprogramm unterzogen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse wurden im Rahmen des Serienentwicklungsprozesses in die Praxis umgesetzt. Das Ergebnis steht fest: ein Fahrverhalten, das den hohen Zielsetzungen der Entwickler entspricht, die Erwartungen anspruchsvoller Kunden sogar noch übertrifft und damit die AnForderungen an ein neues Modell von BMW in jeder Hinsicht erfüllt.
Seit mehr als 20 Jahren testet BMW neue Modelle und innovative Fahrwerkstechnik auf dem Versuchsgelände in Miramas. 1986 hatte BMW France das rund 473 Hektar große Areal erworben, in den darauf folgenden Jahren wurden die Teststrecken und -flächen kontinuierlich modernisiert und erweitert. Heute stehen Versuchsstrecken mit einer Gesamtlänge von mehr als 52 km und Büroarbeitsplätze für 328 Beschäftigte zur Verfügung. Zur schnellen, zuverlässigen und sicheren Datenübermittlung können die Entwicklungsingenieure leistungsfähige Standleitungen zwischen dem Autodrome de Miramas und dem Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ) in München nutzen.
Zu den wichtigsten Vorzügen des südfranzösischen Standorts gehören die stabilen klimatischen Verhältnisse, die eine ganzjährige Nutzung zu Erprobungszwecken ermöglichen. An durchschnittlich nur 2 Tagen im Jahr muss der Testbetrieb wegen Schneefalls unterbrochen werden, Beeinträchtigungen aufgrund von Regenfällen beschränken sich in der Regel auf 20 Tage pro Jahr.
Dank seiner Größe, seiner vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten und seiner günstigen klimatischen Bedingungen stellt das BMW Versuchsgelände in Miramas eine ideale Ergänzung zum Testbetrieb im nördlich von München gelegenen Erprobungszentrum Aschheim, im nordschwedischen Erprobungsstützpunkt Arjeplog und zu den für BMW Fahrzeuge obligatorischen Abstimmungsfahrten auf der Nordschleife des Nürburgrings dar. In Aschheim waren die Entwicklungsingenieure bereits Ende der 1980er-Jahre an Kapazitätsgrenzen gestoßen. Die zunehmende Intensität der Testprogramme und eine stetige Ausweitung der BMW Modellpalette hatten die Notwendigkeit eines zusätzlichen Versuchsstandorts noch verstärkt. In Miramas werden heute permanent sowohl BMW Automobile als auch Motorräder erprobt.
Bis zu 250 Fahrzeuge pro Tag können intensiven Versuchsprogrammen unterzogen werden, jährlich werden so Millionen von Testkilometern absolviert. Auch die personelle Auslastung des Versuchsgeländes Miramas mit rund 50.000 Manntagen pro Jahr dokumentiert eindrucksvoll, welche Bedeutung die BMW Group der Entwicklung und Optimierung der Antriebs- und Fahrwerkstechnik ihrer Produkte beimisst. Der Hochgeschwindigkeitskurs und die Handlingstrecken in Miramas bieten darüber hinaus auch für Testfahrten mit den Formel-1-Boliden des BMW Sauber F1 Teams sowie mit anderen BMW Motorsport-Fahrzeugen ideale Bedingungen.
Kontinuierlicher Ausbau zur modernen Testanlage
Kern des Versuchsgeländes Miramas ist der einstige Rennstrecken-Rundkurs, ein 5 km langes Asphaltoval. Die beiden jeweils 1 km langen und 16 m breiten Geraden des "Ovale de Miramas" sind durch 2 Kurven mit einem Radius von jeweils 500 m miteinander verbunden. In den Jahren 1990 und 1991 erweiterte BMW die ursprüngliche Rennstrecke um einen mehr als 6 km langen Autobahnring, der speziell für Dauertests und Hochgeschwindigkeitsfahrten konzipiert wurde. Bestandteil dieser 3-spurigen Rundstrecke ist eine Steilkurve. Ihre äußere Spur weist eine Überhöhung von 37 Prozent auf und ermöglicht eine Fahrgeschwindigkeit von 264 km/h bei einer Querbeschleunigung von 0,3 g. Dort werden die Fahreigenschaften von Prototypen und seriennahen Fahrzeugen in unterschiedlichen Entwicklungsphasen analysiert und optimiert.
Auf einer im Jahre 1997 in Betrieb genommenen Fahrdynamikfläche können Fahrwerkskomponenten unter vielfältigen Bedingungen erprobt und detailliert abgestimmt werden. Einzelne Abschnitte der rund 180.000 m2 großen Fläche können bewässert werden, um Fahrbedingungen bei Nässe beziehungsweise Aquaplaning-Situationen zu simulieren. Darüber hinaus stehen zur Analyse des Lenkverhaltens und der Fahrstabilität spezielle Oberflächen mit besonders niedrigen Reibwerten zur Verfügung. Auf ihnen lassen sich bereits bei vergleichsweise geringen Geschwindigkeiten Fahrsituationen darstellen, die auf herkömmlichen Straßenbelägen erst bei deutlich höherem Tempo erreicht werden.
Ein Stück Nordschleife in Südfrankreich: Nachbau des Nürburgring-Karussells
Zu den neueren Testzonen auf dem BMW Versuchsgelände in Miramas gehört eine Nachbildung des berühmten Nürburgring-Karussells. Dieser auch als Caracciola-Kurve bekannte Streckenabschnitt der Nürburgring-Nordschleife wurde im Zuge der Erneuerung des 1.365 m langen "Petit Ovale" im Zentrum des Erprobungsgeländes von Miramas originalgetreu nachgebaut. Das Karussell bietet aufgrund seiner speziellen Geometrie einzigartige Möglichkeiten zur Abstimmung von Fahrwerkskomponenten unter anspruchsvollsten Bedingungen. Es besteht aus einer hochliegenden und gering geneigten Asphalt-Fahrspur und einer innen angesetzten Steilkurve mit 30%-iger Neigung. Im Testverlauf kann dort durch einen Fahrspurwechsel zwischen dem flachen äußeren Kurvenrand und der inneren Steilkurve eine Kippbewegung des Fahrzeugs um die Längsachse provoziert werden ein Versuchsszenario, das höchste AnForderungen an mechanische Fahrwerkskomponenten und elektronische Regelsysteme stellt.
Mit insgesamt vier Handlingkursen, die zum Teil neu angelegt bzw. umfassend modernisiert wurden, stehen weitere Areale zur Optimierung des Lenk- und Kurvenverhaltens, der Fahrstabilität und des Dämpfungskomforts zur Verfügung. Sie werden sowohl für Fahrwerks- als auch für Reifentests genutzt. Anspruchsvolle und zugleich praxisnahe Fahrbahnverhältnisse werden unter anderem auf einer Verschmutzungs- und einer Staubstrecke simuliert. Auch für die Erprobung und Abstimmung von Rennfahrzeugen bieten die mit unterschiedlichen Kurvenverläufen, Streckenprofilen und Oberflächenbeschaffenheiten ausgestatteten Handlingkurse optimale Bedingungen. Allein für die Analyse des so genannten Nasshandlings kann ein rund 1,5 km Streckenabschnitt dauerhaft bewässert werden.
Steigungshügel und Schlechtwegstrecken für konzentrierte Härtetests
Auf dem BMW Versuchsgelände in Miramas werden Automobile und Motorräder nicht nur hinsichtlich ihrer Fahrdynamik und ihrer Fahrstabilität optimiert, sondern auch unter Extrembedingungen getestet, die weit über die AnForderungen der täglichen Fahrpraxis hinausgehen. Auf diese Weise wirken innerhalb kurzer Zeit Belastungen auf die Fahrzeuge ein, die sich im Alltagsverkehr erst nach vielen Jahren ergeben. Eine Vielzahl von Schlechtweg- und Offroadstrecken dienen dazu, die Zuverlässigkeit unter härtesten Bedingungen zu testen beziehungsweise die besonderen Fähigkeiten von allradgetriebenen Automobilen sowie von Enduro-Motorrädern weiter zu optimieren.
Eine außergewöhnlich große Vielfalt von Testbedingungen wird auf dem im Jahre 2002 fertig gestellten Steigungshügel dargestellt. 6 Steigungsstrecken stehen dort zur Auswahl, vier von ihnen asphaltiert, die beiden weiteren mit Betonfahrbahnen versehen. Die Neigungswerte der Strecken betragen 5, 8, 12, 20, 32 bzw. 58%. Hinzu kommt eine Serpentinenstrecke mit einer Neigung von 10%. Auf dem Steigungshügel werden das Anfahr- sowie das Bergan- und Bergabfahrverhalten von Automobilen und Motorrädern getestet. In die 4 Asphaltfahrbahnen sind jeweils auf halber Höhe Niedrigreibwertstrecken aus Glassteinen integriert, die bewässert werden können. Durch die Bewässerung entsteht dort ein Oberflächenreibwert, der dem von poliertem Eis entspricht.
Speziell für die Erprobung von Enduro-Motorrädern stehen in Miramas spezielle Teststrecken zur Verfügung, auf denen nahezu alle abseits fester Straßen auftretenden Fahrbahnverhältnisse nachgebildet wurden. Flussbettpassagen und Wasserdurchfahrten gehören dort ebenso zum Testprogramm wie Sprungbereiche, Kopfsteinpflasterwege sowie Bahnschwellen-, Schlamm-, Splitt- und Felsplattenstrecken. Auch unter diesen Bedingungen werden sowohl Erprobungsfahrten als auch Dauertests durchgeführt.
Werkstätten und Büros mit modernster Technik
Ebenso wie die Büros der Entwicklungsingenieure sind auch die Werkstätten auf dem BMW Versuchsgelände mit modernster Technik ausgerüstet. So können Modifikationen und gegebenenfalls auch Reparaturen an den Testfahrzeugen zügig vor Ort vorgenommen werden. Für die Überwachung und Koordinierung des Testbetriebs steht eine Einsatzzentrale samt Kontrollturm zur Verfügung. Bereits seit 1999 ist auf dem Testareal auch ein Rollenprüfstand im Einsatz, auf dem Messprogramme bei Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h absolviert werden können. Im Jahre 2004 wurde eine Spezialwerkstatt für Wasserstofffahrzeuge in Betrieb genommen. Daran angeschlossen ist auch eine Wasserstoff-Tankstelle. Eingeweiht wurden diese neuen Anlagen mit einer spektakulären Rekordfahrt. Im September 2004 stellte der Prototyp BMW H2R in Miramas neun Geschwindigkeitsweltrekorde für wasserstoffbetriebene Fahrzeuge auf.
Vor der Bebauung des Geländes in Miramas hat die BMW Group von Fachleuchten umfangreiche Kartierungen und Bewertungen durchführen lassen, unter anderem um eine optimale ökologische Verträglichkeit zu gewährleisten.
So tragen die Bebauungspläne den Ergebnissen von Biologen Rechnung und beziehen die Lebensbedingungen der Tier- und Pflanzenarten in dem Gebiet mit ein. Unabhängige Gutachter bescheinigen der BMW Group regelmäßig einen besonders verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen des Geländes, das trotz der industriellen Nutzung weiterhin als ökologisch wertvoll gilt.
Im Gegensatz zu anderen Automobil- und Motorrad-Teststrecken steht das Versuchsgelände Autodrome de Miramas ausschließlich der BMW Group und ihren Zulieferern zur Verfügung. Über Schranken und Einfahrtscanner wird die Zufahrt genau überwacht, um die Sicherheit des Testbetriebes zu gewährleisten. Am kontinuierlichen Ausbau des Versuchsgeländes und seiner Teststrecken lässt sich ablesen, wie die BMW Group interne Erprobungsverfahren stetig weiterentwickelt, damit sie sowohl den hohen Qualitätsansprüchen des Unternehmens als auch den veränderten Rahmenbedingungen für moderne Fahrzeuge gerecht werden. Mit immer neuen Innovationen auf dem Gebiet der Fahrwerkstechnik nimmt daher auch die Bedeutung des BMW Versuchsgeländes in Miramas für den Entwicklungsprozess stetig zu.