In gleich drei verschiedene Richtungen verzweigte sich Mitte der 50er Jahre die Lkw-Produktion. Die klassischen Hauber waren wie eh und je gefragt und wurden in großer Zahl produziert. Zunehmend aber pochte mancher Kunde bereits auf Frontlenker, die das Werk erst in Zusammenarbeit mit externen Karossiers realisierte, dann schnell aber in eigener Regie zu bauen begann. Für den deutschen Binnenmarkt aber führte an ganz neuen Konzepten für reduzierte Maße und Gewichte erst einmal kein Weg vorbei.
Den neuen gesetzlichen Forderungen (als Seebohm-Gesetze in die Geschichte eingegangen) genügte der anno 1958 vorgestellte Frontlenker LP 333, seiner zwei gelenkten Vorderachsen wegen auch "Tausendfüßler" genannt, wie kein zweiter Lkw dieser Zeit. Zugleich hatte das Werk aber Mitte der 50er zunehmend auch Export-Kunden zu bedienen, denen der Sinn nach besonders robusten und kräftig motorisierten Lkw stand. Und denen die damalige Top of the Range in Gestalt des L 315 dann doch des Guten nicht genug war.
Inhomogene Vorschriften in Europa
Während sich in Deutschland abzeichnete, dass das zulässige Gesamtgewicht für Lastzüge auf 24 Tonnen beschnitten würde (vorher 40 Tonnen), so galten in Italien zum Beispiel 36 Tonnen, in Frankreich 35 Tonnen als Obergrenze. Die liberalen Niederlande hatten zu dieser Zeit gar überhaupt kein Limit für das maximale Lastzuggewicht, wohl aber höchstens acht Tonnen Achslast und maximal 18 Meter Länge für den Lkw festgesetzt.
Der war zwar in Deutschland äußerst beliebt und führte die Verkaufscharts von Daimler-Benz im schweren Segment mit riesengroßem Abstand an. Doch erwies sich allmählich die Motorisierung mit 145 PS aus den 8,3 Litern Hubraum des seit 1950 gebauten OM 315 als etwas in die Jahre gekommen, zumal die Forderung nach sechs PS pro Tonne im Raum stand. Und auch beim zulässigen Gesamtgewicht von 12,25 Tonnen für den Hauber-Motorwagen wünschte sich mancher inzwischen ein Brikett mehr. Nicht zuletzt hatte auch der deutsche Wettbewerb mittlerweile eine stattliche Zahl an Varianten bis zu 16 Tonnen Gesamtgewicht zu bieten.
Leistungszuwachs um knapp 40 Prozent auf einen Schlag
Die Antwort von Mercedes-Benz lautete L 326 und war zumindest als Hauber äußerlich kaum vom gewohnten L 315 zu unterscheiden. Wie dieser hatte er eine lange Haube mit stattlichem, schiffsbugförmig spitz zulaufendem Kühlergrill. Und wie dieser kam er mit einer relativ nüchtern zugeschnittenen und ausgestatteten Kabine daher, die ihren Ursprung aus dem anno 1950 vorgestellten L 6600 nicht verleugnete.
Bei den inneren Werten aber hatte der L 326 einen großen Sprung voraus gemacht, der ihn auf Augenhöhe mit den stärksten Fahrzeugen des Wettbewerbs hieven und weit in die Post-Seebohm-Ära hineinweisen sollte. Für den Export betrug das zulässige Gesamtgewicht des Haubers stolze 17.500 Kilogramm, für den Inland-Bedarf war es auf 15.000 Kilogramm beschränkt. Und gegenüber der Leistung des OM 315 im L 315 war die Motorleistung des L 326 auf einen Schlag um knapp 38 Prozent auf 200 PS geklettert. Zu den Besonderheiten des neuen, 10,8 Liter großen OM 326 gehörten nicht nur 128 statt 112 Millimeter Bohrung (wie beim OM 315), sondern auch ein Zylin-derkopf mit vier statt zwei Ventilen.
Den L 326 bot Mercedes sowohl als Pritschenwagen als auch in Kipper- sowie Sattelzugmaschinenvarianten an und stellte ihm bereits 1957 den Frontlenker LP 326 zur Seite. Äußerlich unterschied sich dieser Frontlenker vom Vorgänger LP 315 vor allem im Fahrerhausbereich durch seitliche Ausstellfenster und einen kürzeren vorderen Überhang, der eine kürzer bauende Trittstufe des Einstiegs bedingte. Nach den geltenden Gesetzen hatte dieser Frontlenker-Übergangstyp den Vorteil, dass er im Fernverkehr noch bis 1960 mit einem 16- oder 24-Tonnen-Anhänger auf Tour gehen konnte, sofern der vor dem 01. Januar 1957 zugelassen worden war.
Der L 326 dankt schon 1958 ab, der OM 326 aber beileibe nicht
Im Januar 1958 allerdings musste der LP 326 allerdings dem Seebohm-Lkw LP 333 weichen. Im gleichen Jahr kam auch das Aus für den Hauber L 326. Im Export traten seine Nachfolge der L 332 sowie der extrem robuste, für 18,5 bis 19,0 Tonnen Gesamtgewicht konzipierte Hauber L 334 jeweils mit einem auf maximal 172 PS eingestellten OM 326 an. Auf dem Binnenmarkt beherrschten dann Seebohm-konforme, für zwölf Tonnen Gesamtgewicht konzipierte Frontlenker und Hauber für kurze Zeit die Szene. Im LP 333 aber werkelte der 200 PS starke OM 326 aus dem L 326 in alter Frische weiter und hielt auch Einzug in den schweren Varianten der neuen Kurzhauber, die das Werk Gaggenau ab 1959 produzierte.
Der deutsche Sonderweg bei den Maßen und Gewichten hatte gerade mal bis 1960 Bestand. Dann waren schon wieder 32 Tonnen Gesamtgewicht für den Lastzug sowie eine Lange von maximal 16,5 Metern (statt vorher 14,0 Metern) erlaubt. Der Siegeszug der Frontlenker zumindest auf europäischem Pflaster war dennoch nicht mehr zu stoppen. Doch selbst noch 1963, als Mercedes die neuen Frontlenker der so genannten kubischen Generation brachte, schlug unter deren Blech das altbekannte Herz des 200 PS starken Vorkammerdiesels OM 326, der im Hauber L 326 von 1956 das erste Mal auf den Plan getreten war.