Diesen Artikel drucken HTML-Format: https://www.autosieger.de/daimler-benz-praesentiert-1970-das-anti-blockier-system-article8195.html Thema: Historie |
Daimler-Benz präsentiert 1970 das Anti-Blockier-SystemBereits 1920 setzt der französische Automobil- und Flugzeugpionier Gabriel Voisin einen hydraulisch funktionierenden Blockierverhinderer ein. 1928 erhält der Deutsche Karl Wessel ein Patent auf einen Bremskraftregler für Automobile, allerdings kommt er über das Papierstadium nicht hinaus. 1936 meldet Bosch ein Patent für eine "Vorrichtung zum Verhüten des Festbremsens der Räder eines Kraftfahrzeugs" an, doch es bleibt bei Versuchen. 1941 erproben Versuchsfahrer einen Blockierregler, über den das "Automobiltechnische Handbuch" lapidar berichtet, dass "nur bescheidene Erfolge erzielt wurden". Diese ersten Praxisversuche jedoch weisen den Weg: Ein Anti-Blockier-System muss Sensoren haben zur Messung der Raddrehung an jedem Vorderrad. Ein Steuergerät registriert und vergleicht die Messungen – und korrigiert unerlaubte Abweichungen, indem es den Bremsdruck an jedem Rad bis unmittelbar vor dem Blockieren des Rades individuell regelt. Die Umsetzung für die Straße gestaltet sich jedoch wesentlich schwieriger als erwartet. Zwar arbeiten entsprechende Sensoren schon 1952 zufrieden stellend als so genanntes Anti-Skid-System bei Flugzeugen und 1954 im "Knorr-Gleitschutz" für die Eisenbahn. Aber im Auto wird den mechanischen Reibradsensoren viel mehr abverlangt: Sie müssen Drehverzögerungen und beschleunigungen registrieren, bei Kurvenfahrt und Bodenunebenheiten zuverlässig sein und auch bei starker Verschmutzung und hohen Temperaturen fehlerfrei arbeiten. Ein mechanisches, auf das Mitteldifferential wirkendes und dem Flugzeugbau entnommenes Maxaret-System wird 1961 im Ferguson P 66 verwendet, im Ford Continental Mk. III von 1968 sowie im Jensen arbeitet ein komplexes mechanisches System. Die Ingenieure von Daimler-Benz beobachteten seit Ende der 1950er Jahre das Aufkommen dieser mechanischen Blockierverhinderer, müssen jedoch in eigenen Versuchsreihen feststellen, dass diese Systeme für den Straßenverkehr unzureichend sind, da sie den Bremsdruck aller Räder gemeinsam absenken. Induktion statt Mechanik Nicht nur bei Daimler-Benz arbeiten Ingenieure an diesem Problem, sondern auch bei der Teldix GmbH in Heidelberg, einer Tochtergesellschaft des deutschen Unternehmens Telefunken und der amerikanischen Firma Bendix. Ziel ist, jedes Rad einzeln zu regeln und den so vorhandenen Reibwert der Straße voll auszunutzen. Der Kern der Idee ist es, aus Raddrehzahl und Radbeschleunigung die Annäherung an den Blockierzustand zu errechnen und danach den Bremsflüssigkeitsdruck jedes einzelnen Rades zu steuern. Die ersten Vorschläge sehen für die Messung von Raddrehzahl und Beschleunigung sehr große und an den Rädern beziehungsweise Naben schlecht unterzubringende mechanische Sensoren vor, die wie ein Fahrraddynamo gegen die Bremsscheibe gedrückt werden, eine einfache Steuerelektronik und einen hydraulischen Regelblock mit schnell schaltenden Magnetventilen. Die Elektronik arbeitet zu diesem Zeitpunkt noch auf Basis der relativ anfälligen Analogtechnik, die Digitaltechnik ist noch nicht so weit vorangeschritten. Trotzdem: Daimler-Benz stellt die erste Generation eines Anti-Blockier-Systems für Pkw, Lkw und Omnibusse am 12. Dezember 1970 auf der Versuchsbahn in Untertürkheim der Weltöffentlichkeit vor – mit nachhaltigem Widerhall einer begeisterten Fachwelt und Presse. Das Prinzip überzeugt. Der Weg zum serienreifen ABS Bis Daimler-Benz jedoch ein funktionssicheres Anti-Blockier-System in Serie anbieten kann, vergehen nochmals acht Jahre. Diese Zeit ist notwendig, um die Technik reif und zuverlässig zu machen. Zu Hilfe kam den Ingenieuren die Revolution der Elektronik: Die Digitaltechnik erlaubt es endlich, robuste und kleine Computer zu bauen, die in Minimalzeit die Daten der Radsensoren erfassen und die Ventile zur Regulierung des Bremsdruckes zuverlässig ansteuern. Auch die Radsensoren sind ganz erheblich vereinfacht, sie geben nun berührungslos ein Signal ab, aus dem die Elektronik den Beschleunigungs- und Verzögerungsverlauf des Rades errechnet. Die Entwicklung des ersten volldigitalen Steuergeräts zu Versuchszwecken durch den Entwicklungspartner Robert Bosch GmbH dauert fünf Jahre. Dieses ABS der zweiten Generation garantiert endlich die uneingeschränkte Lenkfähigkeit des Fahrzeugs auch bei einer Vollbremsung und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur aktiven Sicherheit. Weltweit erstes serienmäßiges ABS 1978 Mercedes-Benz stellt das neue ABS im August 1978 als weltweit erster Automobilhersteller offiziell vor und bietet es ab Dezember 1978 auf Wunsch an, zunächst in der S-Klasse zu einem Aufpreis von 2217,60 DM. Bald wird es auf die anderen Fahrzeugklassen ausgeweitet. Im Jahr 1984 gehört ABS bei Mercedes-Benz Pkw erstmals zur Serienausstattung. Zehn Jahre nach der Ersteinführung fahren bereits eine Million Mercedes-Benz Pkw mit ABS auf den Straßen der Welt. Auch bei den Nutzfahrzeugen übernimmt Mercedes-Benz die Vorreiterrolle. So wird bereits 1981 das ABS für Druckluftbremsen angeboten, entwickelt zusammen mit der Firma Wabco. Seit 1987 sind alle Reisebusse und seit 1991 auch alle Lkw mit ABS ausgerüstet. Ende 1990 findet das ABS auch Eingang in die Mercedes-Benz Rennfahrzeuge der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft. In den Folgejahren lautet die Devise: kleiner, leichter und leistungsfähiger. 1989 gelingt es, ein in Hybridbauweise gefertigtes Steuergerät direkt am Hydraulikaggregat anzubauen. Aufwändige Verbindungen entfallen, und auch das Gewicht dieser Generation ABS 2E verringert sich. In den Jahren darauf kommen zusätzliche Funktionen wie die elektronische Bremskraftverteilung, die den mechanischen Bremsdruckminderer der Hinterachse ersetzt. Die derzeit aktuelle ABS-Generation 8 wird im Jahr 2001 eingeführt. Sie ist modular aufgebaut, so dass sich die Bremsregelsysteme in den verschiedenen Ausbaustufen ABS, BAS, ASR und ESP technisch in einer Produktfamilie realisieren lassen. Basis für Innovationen ABS ist die Grundlage für die Entwicklung weiterer Systeme. Darauf aufbauend entsteht die Antriebsschlupfregelung (ASR, Serienstart 1981), die das Spiel der Längskräfte zwischen Reifen und Fahrbahn nicht nur beim Bremsen, sondern erstmals auch beim Beschleunigen regelt und dabei sowohl auf die Bremse als auch auf das Motormoment einwirkt. Später folgen das automatische Sperrdifferenzial (ASD, 1985) und der innovative permanente Vierradantrieb 4MATIC (1985). Gemeinsames Merkmal dieser Systeme ist es, den Radschlupf mit Hilfe moderner Mikroelektronik und Hydraulik zu erfassen und zu begrenzen, um die so genannte Längsdynamik eines Automobils zu verbessern. Auch der Bremsassistent Brake Assist (BAS, 1996) verwendet die ABS-Signale, das revolutionäre Elektronische Stabilitäts Programm (ESP, 1995) und auch das elektrohydraulische Bremssystem Sensotronic Brake Control (SBC, 2001). Die Daten der Radsensoren dienen bei Mercedes-Benz Pkw zudem nicht augenfälligen Funktionen wie zum Beispiel dem elektronisch gesteuerten Automatik-Getriebe, das sich den Wünschen des Fahrers anpasst, dem Auto-Pilot-System, dem Reiserechner, der Distronic, der Motor- und Scheibenwischersteuerung und noch einigem mehr, was im Auto geschwindigkeitsabhängig gesteuert wird. Anti-Blockier-System heute weltweite Selbstverständlichkeit Wenn heute das Anti-Blockier-System bei vielen Automobilmarken dieser Welt in fast allen Fahrzeugen ein selbstverständlicher Bestandteil ist, so ist es der Rastlosigkeit und dem Engagement vieler Ingenieure und Techniker zu verdanken, die bei Daimler-Benz und den Kooperationspartnern Bosch, Teldix und Wabco nach der besten Lösung für diese die Fahrsicherheit erhöhende, unfallvermeidende und gegebenenfalls auch lebensrettende Technik suchten. Der nachmalige Leiter dieser Entwicklung bei Daimler-Benz, der auch als "Vater des ABS" betitelte Heinz Leiber, sagt dazu: "Auch in punkto fahrzeugtauglicher Digitalelektronik ist das Anti-Blockier-System und damit auch Mercedes-Benz der Vorreiter." |
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